Sprachgewaltig und gehaltvoll

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annajo Avatar

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Ajany kehrt aus Brasilien nach Kenia zurück, um gemeinsam mit ihrem Vater die Leiche ihres Bruders zu ihrer Farm zurückzuführen. Odidi wurde in den Straßen Nairobis erschossen. Nun bewegt sich Ajany auf den Spuren ihres Bruders, während die Mutter vor Kummer in die Wildnis geflohen ist. Zeitgleich taucht der Brite Isaiah auf, der auf der Suche nach seinem eigenen Vater auf der verfallenen Farm von Ajanys Familie landet. Alte Wunden reißen auf, die auch mit der Geschichte Kenias zusammenhängen, während langsam aber auch eine zarte Hoffnung entsteht.

"Der Ort, an dem die Reise endet" ist ein ziemlich sprachgewaltiges Buch, das leider auch die Gefahr birgt, den Leser zu überfluten. Während einige Passagen eher direkt und zielstrebig der Handlung folgen, sind andere verschachtelt, verwinkelt, voller Andeutungen und sprachlichen Bildern, die nicht immer von der Handlung klar zu trennen sind. Die Figuren schweifen in ihren Betrachtungen immer wieder ab und zwischen den Lebensabschnitten hin und her. Und generell ist das Buch nicht leicht zu lesen. Gerade die Abschnitte mit und über Ajany sind sehr poetisch und metaphorisch. Das Buch ist stark durchdrungen von Mystik und Aberglauben, gemischt mit politischen Entwicklungen. Die Handlung ist mitunter sehr bruchstückhaft und sprunghaft geschildert. Leicht weglesen lässt sich dieses Buch sicherlich nicht. Es gibt viel Unausgesprochenes, das hineininterpretiert werden will und muss. Dennoch ist das Buch beeindruckend. Denn es gibt einen interessanten Einblick in eine völlig andere Welt und bringt einem ein Stück afrikanische Geschichte nahe, die man nicht unbedingt als Allgemeinwissen hat. Es zeigt auf, welch ein Pulverfass ein Land mit verschiedenen Völkern und Stämmen sein kann und welche Narben eine Kolonialherrschaft hinterlässt. Dazu kommt die alles durchdringende Korruption. Verschiedene Bedeutungsebenen öffnen sich nach und nach, selbst noch nach Beendigung des Buches. Nicht alles allerdings erschließt sich auch komplett.

Leider ist der Klappentext irreführend, da ich lange Zeit davon ausging, dass es sich bei Ajany und Odidi um recht junge Leute in den 20ern handelt. Eine Todesanzeige Ajanys für ihren Bruder bescheinigt diesem jedoch ein Alter von über 40, was auch mit der Zeitschiene der Handlung besser passt, da der Vater bereits in den 1950ern und 60ern aktiv war. Diese Verwirrung fand ich unnötig und hat mich beim Lesen gestört. Außerdem nicht ganz überzeugend war die Tatsache, dass sich der Brite Isaiah direkt in die Mystik und Mythologie fügt und dass seine Gedankengänge in den gleichen Bahnen verlaufen, obwohl er aus einem komplett anderen Kulturkreis kommt.

Nach einer Leseprobe des Buches stand ich dem Roman eher skeptisch gegenüber, da ein Auszug des Buches ohne Kontext sehr verwirrt und die Komplexität der Sprache sehr abgeschreckt hat. Vor diesem Exzerpt steht jedoch ein Prolog, der die Geschichte von Anfang an verständlicher machen konnte. Letztlich hat das Buch eine gewisse, dunkle Magie entfalten können und hat einen Alltag zwischen Korruption, Gewalt und Wildnis greifbar gemacht. So konnte mich das Buch in weiten Teilen, abgesehen von den oben genannten Kritikpunkten, überzeugen.