Was für eine umwerfende Sprache!

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ismaela Avatar

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Was für ein Buch! Da es ein Rezensionsexemplar von vorablesen war hat es mich zuerst so gar nicht interessiert, weil ich mit Afrika nicht die allerbesten Dinge verbinde, aber dann hat die Neugier doch gesiegt. Und ich kann nur sagen: zum Glück!

Worum geht's?

Odidi Oganda wird in einer Seitenstraße in Nairobi erschossen. Sein Vater Aggrey Nyipir Oganda möchte ihn zu ihrer Farm - Wuoth Ogik - bringen, um ihn dort zu begraben, Odidis Schwester Arabel Ajany Oganda, die aus Brasilien gekommen ist, ist mit dabei. Gerade als der Vater dabei ist, seinen toten Sohn zu begraben, taucht ein weißer Mann auf, Isaiah Bolton, der auf der Suche nach seinem Vater ist. Mit dem Auftauchen des Engländers bricht ein Ablauf von Geschehnissen auf, die die Personen in diesem Buch aus der Bahn werfen und für den einen oder anderen einen brutalen Schnitt im jeweiligen Lebenslauf bedeuten.

Die Autorin Yvonne Owuor beschreibt das innige Verhältnis von Ajany und ihrem älteren Bruder Odidi in einer wunderbaren Art und Weise, den Schmerz Odidis, als sich seine Schwester entschließt, Afrika den Rücken zu kehren, um zu studieren und als Künstlerin zu arbeiten. Odidi wird als Mitbegründer einer Ingenieursfirma Zeuge einer grauenhaften Umweltkatastrophe, bei der skrupellose Geschäftsmänner bewusst einen Stausee sabotieren, um aus dem entstehenden Schaden Kapital zu schlagen. Die Ingenieursfirma soll alibimäßig die Reparaturarbeiten durchführen und wird dafür fürstlich entlohnt. Als Odidi versucht, dieses Verbrechen an die Öffentlichkeit zu bringen, wird er diesen Leuten gefährlich und lästig - sie beseitigen ihn.

Im weiteren Verlauf der Geschichte spielt dieser Vorfall keine Rolle mehr, zu sehr werden die Hinterbliebenen vom Tod des jungen Mannes aus der Bahn geworfen: die Mutter Akai-ma Lokorijma wird von ihrem Schmerz derart überwältigt, dass sie Hals über Kopf in die Wüste verschwindet, um ihrer Trauer Raum zu geben, dabei vergisst sie völlig, dass sie noch eine Tochter hat, die sie braucht. Der Vater ist ebenfalls in seiner Trauer gefangen, als Isaiah Bolton auftaucht und nach seinem Vater fragt. Wuoth Ogik, die Farm der Ogandas, war ursprünglich das Zuhause von Hugh Bolton, einem grausamen und selbstbezogenen Engländer, der für sich und seine Frau Selene - die Mutter von Isaiah Bolton - dieses Haus als Paradies auf Erden baute - als SEIN Paradies auf Erden. Doch durch die Säuberungen und Massaker, die in den 1960er und 1070er Jahren die englischen Kolonialisten, aber auch Einheimische, scheinbar willkürlich nach und nach ausmerzten, kehrte Selene nach England zurück, um dort Isaiah auf die Welt zu bringen, während Hugh in Afrika blieb und im Krieg um Vorherrschaft kräftig mitmischte. Seine Verbindung zu Akai-ma Lokorijom besiegelt letztendlich sein Schicksal.

Alle Verwicklungen und Verbindungen, alle Lösungen und Aufdeckungen können in nur einer Rezension kaum beschrieben werden, ohne ein eigenes kleines Buch daraus zu machen. Auf knapp 500 Seiten entwirft Owuor ein Kaleidoskop an Farben, Gerüchen, Landschaften, Städten, Personen, Beziehungen, Gefühlen, Träumen und Ängste, die einem kaum Zeit lassen, um Luft zu holen. Ihre Sprache ist gewaltig und so voller Lebendigkeit, dass man glaubt, man wäre direkt vor Ort. So etwas erlebe ich selten, und ich kann wirklich in Bücher eintauchen.

Neben der eigentlichen Geschichte der Familie Oganda erfährt man eine ganze Menge zur Geschichte Kenias, die durch die Bank gewalttätig und Blutrünstig ist, und die viele Tentakel in die Jetztzeit ausgestreckt hat. Auch heute noch wird der Alltag der Menschen von Gewalt, Korruption, Staatswillkür und Repressalien bestimmt. Trotzdem transportiert die Autorin einen Lebenswillen der Bevölkerung in Richtung des Lesers, eine ungebrochene Liebe zum Leben und einen Reichtum an Kultur, Religion, Brauchtum - dass man sich dieser Wucht kaum entziehen kann.

Ein klitzekleiner Kritikpunkt meinerseits ist der teilweise fehlende rote Faden der Geschichte. Es gibt zwar einen, aber er wird immer wieder durch Rückblenden und Erzählungen unterbrochen, bei dem es dem Leser überlassen wird, wie er diese Einsprengsel einordnet. Das war vor allem am Anfang ein bisschen mühsam und birgt die Gefahr, dass einige Personen vorzeitig das Buch abbrechen könnten. Wenn man aber dranbleibt, lernt man, dass diese Einwürfe irgendwann aufgeklärt werden und sich dem Leser früher oder später erschließen.

Von mir also eine unbedingte Leseempfehlung - nicht nur für bibliophile Bücherwürmer, sondern auch für alle, die der Meinung sind, die afrikanische Literatur ist nicht allzu präsent auf dem deutschen Buchmarkt. Und für sowieso alle, die ein bisschen mehr über Afrika und dessen Geschichte erfahren möchten, ohne unpersönliche Geschichtsbücher durchackern zu müssen.

Lesen!!