Gelungener, abwechslungsreich erzählter Trilogie-Auftakt um den aufgeweckten Gesetzlosen Alwyn

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alekto Avatar

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Der junge Alwyn lebt im Wald der Shavine-Marschen bei einer Bande von Gesetzlosen, über die deren König Deckin Scarl, dem Alwyn treu ergeben ist, uneingeschränkt herrscht. Auf einem Beutezug fällt ihnen ein Bote des Königs samt seiner Nachricht in die Hände. So erfährt Deckin von der letzten Schlacht im Prätendenten-Krieg, der schon länger währt, seit der Prätendent Anspruch auf den königlichen Thron erhoben hat. Nun hat Herzog Rouphon, zu dessen Gebiet der Wald der Shavine-Marschen gehört, seine Loyalität in diesem Krieg gewechselt. Und da Deckin, den seine eigene Geschichte mit der des Herzogs verbindet, nicht von seinem Verderben lassen kann, wird auch Alwyn in diesen Konflikt hineingezogen. Das führt zur Katastrophe, so dass Alwyn droht alles zu verlieren.

Der stählerne Bund stellt den Auftakt einer neuen Trilogie um den Paria von Anthony Ryan dar. Dieser Roman ist in drei Teile untergliedert, zwischen denen ein größerer und ein Zeitsprung von kürzerer Dauer erfolgen. Zu Beginn wird Hauptfigur Alwyn vom Autor vorgestellt, der als Bastard, dessen Mutter bei seiner Geburt gestorben ist und dem sein Vater nicht bekannt ist, eine schwere Kindheit hatte. Erst als er halb verhungert von Deckin gefunden und aufgenommen wird, findet er eine Art Zuhause. Auch später steht Alwyn wegen seines scharfen Blicks und hellen Verstandes, der ihn etwa besser als andere Lügen erkennen lässt, in der Gunst von Deckin.
Dieser Roman wird aus Sicht von Alwyn erzählt. Damit ist allerdings nicht der Alwyn im Hier und Jetzt gemeint, sondern ein Alwyn in reiferem Alter, der seine Geschichte als Rückblick wiedergibt. So fließen immer wieder Kommentare des älteren Alwyn mit ein, die Hinweise auf den weiteren Verlauf der Handlung geben. Diese sind teils geschickt von Anthony Ryan umgesetzt, weil damit Passagen, in denen sonst wenig passiert, interessant gehalten werden. Denn dadurch wurde meine Neugierde geweckt, die mich über zukünftige Ereignisse in Alwyns Leben hat rätseln lassen. An manchen Stellen haben mich diese Andeutungen auf die falsche Fährte geschickt (z.B. Stallknecht), teils haben mir diese aber schon früh zu viel verraten (u.a. Erchel).

Neben der Beschreibung von Protagonist Alwyn habe ich auch die der meisten anderen Figuren als gelungen empfunden. Dabei hat mir besonders die Ambivalenz in der Charakterisierung des legendären Gesetzlosen Deckin Scarl zugesagt. Denn Deckin ist vom Autor nicht romantisiert oder wie in den Balladen über ihn verklärt worden, obgleich Alwyn in späteren Jahren einen nostalgischen Blick auf seine seine Zeit bei den Gesetzlosen im Wald hat. Stattdessen wird Deckin als schlauer, aber auch gefährlicher und bisweilen aufgrund seiner Launen unberechenbarer Anführer seiner Bande beschrieben. Nicht minder interessant sind für mich die Figuren (u.a. Sir Althus Levalle, Aszendentin Sihlda, die Sackhexe) gewesen, denen Alwyn im weiteren Verlauf der Handlung begegnen wird.
Leider hat mich gerade die Charakterisierung der adligen Feldherrin Evadine Courlain nicht überzeugt, der Anthony Ryan für meinen Geschmack zu viel Raum in diesem Roman gegeben hat. Evadine ist eine furchtlose Kämpferin, die über ein beeindruckendes Redetalent verfügt, mit dem sie in ihren Ansprachen Menschenmengen zu manipulieren vermag. An Evadine hat mich die in sich widersprüchliche Beschreibung des Autors gestört. So konnte ich sie nicht als starke Frau wahrnehmen, weil sie dafür einfach einmal zu oft wie ein Fräulein in Nöten von einem Mann gerettet und vor dem Tod bewahrt werden musste. Auch erinnerte mich Evadine oft an die Statue, mit der Alwyn ihre Schönheit vergleicht, und ist als solche für mich schwer greifbar gewesen. Damit ist ihre Entwicklung zwar ziemlich überraschend, aber auch schlecht nachvollziehbar für mich gewesen.

In diesem Roman entwirft Anthony Ryan eine ganze Welt, in der er nicht nur einen ausgewachsenen Krieg toben lässt, sondern in der verschiedene Völker leben (u.a. im Norden heimische Ascarlianer und Zauber webende Caerither). Diese werden ausführlich in ihrer Kultur und ihren Traditionen, aber auch in ihrer Geschichte und ihrem praktizierten Glauben beschrieben. In Alwyns Heimat ist die vorherrschende Religion die des Bundes, die die Seraphilen anbetet und an die Märtyrer glaubt. Da wäre ein Glossar, das leider nicht vorhanden ist, hilfreich gewesen. Als praktisch habe ich die dem eigentlichen Roman vorangestellte Karte empfunden, da diese mir eine Orientierungshilfe geboten hat.
Im stählernen Bund hat mir der von Anthony Ryan gebotene Abwechslungsreichtum gefallen, der von raffinierten Raubzügen von Diebesbanden, blutigen Hinrichtungen und brutalen Massakern, aber auch von gewaltigen Schlachten und von Magie, wenn Gespräche mit Toten geführt und unmögliche Heilungen vollzogen werden, erzählt. Dabei beweist der Autor ein besonderes Können im Ausloten menschlicher Abgründe, ob diese sich in kleinen oder großen Lügen, in Gestalt von ausgewachsenen Intrigen oder während einer brutalen Schlacht zeigen. Unschuldig ist diesem abgründigen Fantasy-Roman kaum einer.
Eine weitere Stärke dieses Romans sind seine für mich unerwarteten Wendungen. So konnte mich nicht nur überraschen, welche Figur der Tod ereilt, sondern auch wann es für Alwyn zu einem erneuten Aufeinandertreffen mit einer zuvor eingeführten Person kommt. Im Schlussteil trumpft der Autor mit mehr als nur einer Enthüllung auf, die ich teils als sehr überzeugend (u.a. Sir Althus Levalle, die Sackhexe, Aszendentin Sihlda), teils als weniger gelungen (u.a. Deckin, der Kettenmann, Lorine) empfunden habe. Und obwohl ich gerade Feldherrin und Märtyrerin Evadine als eine der schwächsten Figuren dieses Romans wahrgenommen habe, die im nächsten Band Martyr wohl eine noch größere Rolle spielen wird, bin ich schon auf die Fortsetzung des stählernen Bundes gespannt und möchte gern erfahren, wie es Alwyn weiterhin ergehen wird.