Very British: starke Charaktere in einem Verwirrspiel um einen gestörten Pfau

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smartie11 Avatar

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Zum Inhalt
Um die Unterhaltskosten des alternden Herrensitzes zumindest teilweise zu finanzieren, vermieten Lord und Lady McIntosh ihre Anwesen mitten im Schottischen Nichts an Touristen. Eigentlich eine abgeschiedene und ruhige Idylle, sollte man meinen. Aber nicht, wenn eine kleine Gruppe von Investmentbankern aus London zum Teambuilding-Wochenende anreist, sich die gute Seele des Hauses spontan mit einem gebrochenen Arm aus allen ihren Pflichten verabschiedet, eine Schneefront sich ankündigt und zu guter Letzt auch noch ein Pfau Amok läuft. Dann kann es mit der erholsamen Ruhe auch ganz schnell vorbei sein…

Meine Meinung
Die gebürtige Kölnerin und Wahl-Hamburgerin Isabel Bogdan erhielt 2006 den Hamburger Förderpreis für literarischen Übersetzungen, 2011 den Hamburger Förderpreis für Literatur und wurde zur Bloggerin des Jahres 2014 gewählt. Mit „Der Pfau“ legt sie nun ihren Debut-Roman vor.
Zunächst möchte ich die wirklich schöne Gestaltung des rd. 250 Seiten starken Buches hervorheben: Hardcover, Glanzprägung und Lesebändchen lassen das Buch sehr wertig erscheinen.
Das Setting, das die Autorin sich für ihren ersten Roman ausgesucht hat, könnte einem Rosamunde Pilcher-Roman oder einem Inspector Barnaby-Krimi entsprungen sein: Ein etwas heruntergekommenes, viel zu überdimensioniertes Herrenhaus inmitten von sehr viel… Landschaft. Und auch Bogdans Charaktere sind durch und durch „very british“, allen voran der etwas unpraktisch veranlagte Altphilologe Lord Hamish McIntosh und seine Lady Fiona, die – etwas untypisch aber dafür umso sympathischer – sich als Ingenieurin kurzerhand um einige handwerkliche Probleme selbst kümmert. Für alles andere haben sie den wortkargen Ryszard und die junge Aileen, die gute Seele des Hauses. So weit zu der klassischen Vorstellung des traditionellen britischen Landlebens. Da sucht die Lady durchaus die zum Hund passenden Teppichböden aus und nimmt später folgerichtig nur noch zum Teppichboden passende Hunde auf.
Als dann die Investmentbanker aus London anreisen, prallen durchaus Welten aufeinander. Man wollte ja ein wenig Abgeschiedenheit und auch nicht unbedingt Luxus. Aber SO abgeschieden und SO – nun ja – rustikal hatte sich Liz, die strenge und anscheinend dauergenervte Chefin der Investmentabteilung einer Londoner Privatbank, das Ganze dann doch nicht vorgestellt. Komplettiert wird die illustre Runde der Charaktere durch die junge, engagierte Psychologin Rachel (der die Situation manchmal über den Kopf zu wachsen scheint), die taffe und äußerst praktisch veranlagte Köchin Helen und last but not least den vier Mitarbeitern von Liz. Da hätten wir den dauer-gut-gelaunten Jim, den mit seinen über 60 Lenzen anscheinend nichts mehr aus der Fassung bringen kann, den jungen, etwas zurückhaltenden David mit latentem Pfauen-Problem, den glücklichen Familienvater und Hüttenbau-Boykotteur Andrew und last but not least den grantelnden „kleinen Schleimer“ Bernhard. Die illustre Zusammensetzung ihrer Charaktere ist für mich eine der zentralen Stärken dieses Romans. Es ist spannend zu lesen, wie sich die Charaktere im Verlauf durch kleinere oder größere Gegebenheiten weiter entwickeln. Durch die auktoriale Erzählperspektive gewährt uns Isabel Bogdan tiefe Einblicke in die Psyche ihrer Charaktere. Sehr unterhaltsam sind dabei die immer wieder eingestreuten „Zusammenfassungen“ wer von den Charakteren zu bestimmten Sachverhalten etwas weiß, was derjenige meint zu wissen und welcher Charakter ganz frei von Ahnung ist.
Die Geschichte selbst ist ebenfalls „very british“: Sie ist unaufdringlich, größtenteils eher unaufgeregt und offenbart dem Leser ihren Charme eher auf den zweiten Blick. Eigentlich passiert im Verlauf der Geschichte und des verlängerten Teambuilding-Wochenendes gar nichts Besonderes. Hier zeigt Isabel Bogdan dem Leser auf humorvolle Art, wie auch kleine, für sich genommen eher unbedeutende Ereignisse ihre Wellen schlagen können und wie sich manche Dinge einfach irgendwann unwiderruflich verselbstständigen. Große Action, knisternde Spannung, heiße Liebeleien oder gar platten Humor wird man in „Der Pfau“ nicht finden. Es ist eher ein Buch der leisen Töne, das mich aber nichtsdestotrotz sehr gut unterhalten hat und entspannt zu lesen war.

FAZIT:
Durch und durch „very british“: Unterhaltsam und kurzweilig zu lesen, auch ohne große Action und viel „Tam Tam“. Die Stärke dieses Romans liegt für mich in den illustren Charakteren und deren Zusammenspiel.