Anspruchsvolle Shakespeare-Neuinterpretation

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lui_ Avatar

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Das Cover hat mich sofort magisch angezogen. Es verströmt eine düstere Atmosphäre und lädt so gelungen zum Blick hinter den Umschlag ein.
Zum Inhalt: Der Rabengott wacht über Vastai – im Austausch gegen ein Menschenopfer, sobald der aktuelle Vogel stirbt. Als Mawat nach Hause zurückkehrt, erwartet er, das Erbe seines Vaters als neuer Statthalter anzutreten, findet aber stattdessen seinen Onkel auf dem Thron vor und schwört auf Rache.
Der Schreibstil wirkt dank der neutralen Du-Perspektive einzigartig, erschwert dadurch aber sowohl den Einstieg ins Buch als auch das Einfühlen in die Charaktere. Die High Fantasy Geschichte erfordert außerdem viel Konzentration und selbstständige Schlussfolgerungen von den Lesenden. Zu Beginn habe ich mich etwas desillusioniert gefühlt, wurde dann aber immer mehr in den Bann politischer Intrigen gezogen.
Ein Großteil der Handlung wird von weitschweifigen sprachphilosophischen Überlegungen und der Reflektion über das komplexe Glaubenssystem eingenommen, was in einem langsamen Erzähltempo und vielen inneren Monologen resultiert. Ein actiongeladenes Epos sollte man hier also nicht erwarten. Stattdessen verfolgt man die Zuspitzung schleichenden Unheils und obwohl wir es hier nicht mit einem Schlachtenepos zu tun haben, ist der Showdown dennoch beeindruckend.
Da die Charaktere so wenig Raum einnehmen, fällt es mir schwer, sie einzuschätzen. Sie bleiben bedingt durch die Erzählperspektive schlicht fremd. Was mir allerdings sehr gefallen hat, ist die ungezwungene Diversität der ProtagonistInnen.
Obwohl ich etwas anderes erwartet habe, konnte mich das Buch nach einer längeren Eingewöhnungsphase doch noch für sich einnehmen und ich werde es sicher irgendwann noch einmal lesen. Wer sowohl anspruchsvolle High Fantasy als auch die Eigenarten klassischer Literatur mag und auf der Suche nach einem Buch zum Entschleunigen und langsamen Lesegenuss ist, sollte hier einmal reinlesen.