Einsteigen, Aussteigen...nicht Ankommen

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bavaria123 Avatar

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Deutschland im November 1938. Otto Silbermanns Verwandte und Freunde sind verhaftet oder verschwunden. Er selbst versucht, unsichtbar zu bleiben, nimmt Zug um Zug, reist quer durchs Land. Inmitten des Ausnahmezustands. Er beobachtet die Gleichgültigkeit der Masse, das Mitleid einiger Weniger. Und auch die eigene Angst.

Da hat das Jahr gerade erst begonnen und ich habe schon ein Buch gelesen, welches mich sicher noch eine ganze Zeit beschäftigen wird und das Potential hat, mein Buch des Jahres 2018 zu werden.

Ab der ersten Seite ist man mitten in der Geschichte...mitten im Leben von Otto Silbermann. Möchte man das aber sein? Also...mitten in dem Leben eines wohlhabenden Kaufmanns aber eben auch eines Juden in Berlin im Jahr 1938?

Seite 35 : Eben ist mir nun endgültig der Krieg erklärt worden und jetzt bin ich allein – in Feindesland
Otto Silbermann ist allein....allein, mit sich und seinen Gedanken. Er hat zwar Geld, aber was macht man damit ohne Familie und ohne ein Zuhause. Und somit nimmt er den Leser mit auf seine Flucht. Und je länger diese dauert, desto mehr kommt die Angst auf, die Sorge, aber auch die Wut und die Hilflosigkeit.

Seite 136: "Man muss laufen, und es sagt einem niemanden den Weg."
Und während des Laufens verändern sich die Menschen um einen herum und mit ihnen auch der Mensch, der läuft.

Ich bin beeindruckt, von dem Schreibstil, den der junge Autor Ulrich Alexander Boschwitz genutzt hat. Er ist absolut mitreißend, man kann das Buch kaum aus der Hand legen. Jedes Gefühl, das der Protagonist durchlebt ist nachvollziehbar und absolut real. Was wiederum kaum verwundert, denn der Autor verarbeitet vieles, was er selbst oder sein nahes Umfeld gesehen und erlebt hat.

Otto Silbermann ist viel in Zügen unterwegs. Er steigt ein und aus und kommt doch nie ans Ziel. Wie makaber, dass es dann auch gerade Züge waren, die im Leben und Ableben so vieler Juden dann tatsächlich auch eine große Rolle gespielt haben. Interessant sicher auch die Einteilung von erster bis dritter Klasse...meint man die in den Zügen oder die in der Einteilung der Menschen?

Mich hat das Buch nachhaltig sehr bewegt. Wenn ich dann daran denke, dass der Autor sein Leben mit 27 Jahren durch fremde Hand auf hoher See beenden musste, tut das noch einen weiteren Anteil dazu.

Das Buch ist mit 20 Euro für 303 Seiten sicher nicht gerade ein Schnäppchen und normalerweise empfinde ich das auch oft als einen besonders kritischen Punkt. Hier ist es aber so, dass es jeden Cent wert ist. Es ist ein wichtiges Stück Zeitgeschichte, unbezahlbar eigentlich. Ich finde es besonders von einem so jungen Autoren auch literarisch bemerkenswert mit all den Emotionen und sicher sehr persönlichen Gedanken.

Man könnte noch so viele Zitate aus dem Buch einfügen und besprechen. Das sprengt den Rahmen und deshalb empfehle ich das Buch unbedingt weiter...für jeden mit allen Sternen.