Entwurzelt

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adelheid von buch Avatar

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Ulrich Alexander Boschwitz hat diesen Roman kurz nach den November-Progromen 1938 verfasst, in denen die systematische Verfolgung der Juden begann. Diese Ausgabe ist die erste Veröffentlichung in Deutschland. Es hat die ganzen Jahre in einem Archiv ausgeharrt, bis seine Zeit gekommen ist.
Die Geschichte erzählt vom Schicksal Otto Silbermanns, der Jude ist und bisher ein ziemlich durchschnittlicher deutscher Bürger war. Er war Soldat im Ersten Weltkrieg, war Inhaber einer erfolgreichen Firma, Besitzer eines Mietshauses, hatte eine (arische) Ehefrau und einen erwachsenen Sohn. Als die Verfolgung der Juden begann, hatte Silbermann, wie viele andere Bürger auch, keine Vorstellung davon, welche Brutalität und Grausamkeit ihnen entgegenschlagen würde. Der Roman schildert erzählerisch sehr gut inszeniert, mit welcher rasanten Geschwindigkeit, den Juden alles entzogen wird, was Menschlichkeit ausmacht. Silbermann hat keine Chance, darauf zu reagieren. Als seine Wohnung gestürmt wird, kann er glücklicherweise fliehen. Es gelingt ihm, eine Aktentasche voller Geld aus einem letzten Geschäft, das sein arischer Geschäftspartner für ihn abwickelt, zu retten. Aber er ist entwurzelt, keines der bisherigen Gesetze seines Lebens funktionieren mehr. Nirgends kann er bleiben, nirgends fühlt er sich sicher. So irrt er umher, kommt mit allerlei Menschen ins Gespräch. Sie alle sind auf die eine oder andere Weise ahnungslos oder überfordert mit der Situation oder haben keinen Zugang dazu. Es wird deutlich, dass das sein größtes Problem ist. Plötzlich abgeschnitten von allen sozialen Kontakten, ist er einfach verloren. Dass ihm auch noch seine Tasche mit dem Geld gestohlen wird, ist mehr als Silbermann verkraften kann. Er verliert jegliche Orientierung und endet schließlich in der Irrenanstalt.
Dieses Buch ist ein spannendes Zeitdokument. Personen und Umstände sind sehr authentisch geschildert. Die Dialoge in der damals üblichen Sprechart geben Einblick in den Zeitgeist. Darüber hinaus ist es aber auch zeitlos. Es ist eine meisterhaft erzählte Geschichte darüber, was passiert, wenn jemandem der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Dabei ist es nicht wichtig, in welchem zeitlichen und räumlichen Kontext dies geschieht.