Schonungslos und plastisch - als wäre man dabei

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kindder80er Avatar

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Dieser Roman wurde kurz nach den Pogromen 1938 verfasst als der Autor schon geflüchtet war. Der Autor war damals gerade einmal 23 Jahre alt, aber die Leseprobe zeugt schon von einer immensen Beobachtungsgabe und einem besonderen, feinfühligen Stil, den nur Menschen haben, die schon einiges durchmachen mussten.

Der Roman handelt von dem jüdischen Kaufmann Otto Silbermann, der sich gleich zu Beginn des Buches mit einem judenhassenden Deutschland konfrontiert sieht. Der Judenstern wurde noch nicht eingeführt, dennoch wissen seine Bekannten, Nachbarn und auch Freunde, dass er Jude ist. Dabei wird auch die Bigotterie thematisiert, denn in aller Öffentlichkeit wird Silbermann teilweise nicht mehr gegrüßt, aber gute Geschäfte will man hinter verschlossener Tür natürlich anfangs weiterhin mit ihm machen... Zumindest Silbermanns Haus will man ihm abkaufen, denn Silbermann plant, mit seiner Frau nach Paris auszureisen, wo der Sohn schon verweilt und seine Zelte in Deutschland notgedrungen abzureißen.

Das kommt allerdings alles etwas zu spät und nachdem sein Schwager abgeholt worden ist, rummst es auch an seiner Tür. Er kann flüchten und dass er nicht wie ein Jude aussieht, zumindest so, wie sich die Nazis das vorstellen, kommt ihm zugute. Er versucht, in einem Hotel unterzukommen, aber dort wo man ihn kennt, wird er abgelehnt. Dann muss es eben eine Absteige sein, aber auf diese Idee sind natürlich viele andere Juden auch gekommen...

Diese ganze bedrohliche Situation wird im Buch förmlich greifbar. Man sucht mit dem Protagonisten Auswege, leidet mit, will ihm ebenfalls gut zureden und helfen. Der Schreibstil ist irgendwie mitreißend, schonungslos und plastisch - so als wäre man dabei.

Die Irrungen, Wirrungen und verschiedenen Gespräche, die Silbermann während seiner Odyssee führt, wirken teilweise banal, sind es aber nicht. Wenn er beispielsweise mit einem Parteimitglied im Zug Schach spielt und ihn Runde um Runde besiegt, überlegt er zunächst schon, ob er ihn nicht einfach gewinnen lassen soll, damit er nicht so auffällt. Das Parteimitglied ist aber eher begeistert und ehrgeizig, so dass er Silbermann seine Visitenkarte gibt, um sich noch einmal mit ihm zum Schach zu treffen.

Silbermann selbst ist in seinen Überlegungen auch nicht immer gerecht, was aber nur von einer Eigenschaft zeugt, die die Nazis ihm absprechen: Ein Mensch zu sein!

Er muss erkennen, dass Freunde zu Feinden werden - selbst langjährige booten ihn aus und hauen ihn übers Ohr, denn mit Juden kann man das in dieser Zeit hervorragend machen ohne eine Strafe befürchten zu müssen.

Es war mir ein "Vergnügen", Silbermann zu begleiten. Ich habe mitgelitten und wusste genau, dass es zwar ein Roman ist, der aber schonungsloser und authentischer nicht hätte sein können! Prädikat besonders wertvoll!