Zug um Zug - ohne Ziel

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kabo16 Avatar

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Nach dem Lesen dieses Buches musste ich erstmal 10 Tage warten bevor ich diese Rezension schreiben konnte, denn selten hat mich ein Buch so aufgewühlt und mich beschäftigt.
Dem jungen Autor, Ulrich Alexander Boschwitz ist ein sehr beeindruckendes Zeitgeschehniss gelungen - und das im Alter von nur 23 Jahren.
Er erzählt die Geschichte von Otto Silbermann, einem angesehenen jüdischen Geschäftsmann, der von den Novemberpogromen im Jahr 1938 völlig überrollt wird. Niemals hätte er damit gerechnet, dass es Ihn treffen könnte! ER, der im ersten Weltkrieg für die Deutschen gekämpft hatte, sogar ausgezeichnet wurde er. Man hat gerne mit ihm Geschäfte gemacht, aber nun hat er es gerade noch geschafft, heile aus seinem Haus zu fliehen und nicht verhaftet zu werden. Seine Frau konnte als Nichtjüdin zu ihrem Bruder nach Kärnten reisen. Der Sohn ist schon längere Zeit in Paris und versucht ein Visum für seinen Vater zu bekommen. Und Otto? Er reist mit dem Zug durch Deutschland - kreuz und quer, hin und wieder zurück. Ohne ein wirkliches Ziel, immer auf der Flucht und niemals wirklich ankommend. Er hat das Glück nicht wirklich jüdisch auszusehen, aber die Angst reist in jedem Abteil mit ihm mit, sie sitzt ihm im Nacken. Zeitweise liest es sich so beklemmend und doch wieder so irrsinnig. Könnte er, statt sich ums Essen Gedanken zu machen, nicht viel verzweifelter nach einer Fluchtmöglichkeit suchen? Er lernt viele Menschen auf dieser Reise kennen, nie wissend wem er vertrauen kann. Man kann dieses Buch nur sehr schwer aus der Hand legen, weil man einfach bis zur letzten Seite mitleidet.
Der Autor starb schon 1942 im Alter von nur 27 Jahren. Er wurde auf einem englischen Schiff von einem deutschen U-Boot zusammen mit 361 Passagieren torpediert. Auch er war Jude. In England erschien der Reisende 1939, in Amerika 1940, 1945 in Frankreich und nun 2018 auch endlich in Deutschland. Besser spät als nie.
Vielen Dank Herr Graf.