Geballtes Spannungsende mit kleinen Schwächen

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nicky_g Avatar

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Die Journalistin Norah hat Hals über Kopf eine neue Stelle in Wien angenommen, nachdem sie sich mit ihrem Freund in Berlin überworfen hat. Direkt an ihrem ersten Tag begegnet ihr eine geheimnisvolle Bettlerin, die ihr eine unheilvolle Prophezeiung macht. Norah, einerseits erschrocken, andererseits neugierig, versucht Licht ins Dunkel zu bringen. Aber wird sie das vor der schwerwiegenden Tat bewahren?

Melanie Raabe erzählt in einer ausdrucksstarken Sprache, die sich vor allem durch einprägsame Bilder auszeichnet, z. B. auf S. 9: „der Himmel grün und blau geschlagen von der Nacht.“ oder „Norah stand am Fenster und rauchte, und in ihrem Rücken ballte sich die Stille in ihrer Wohnung wie eine Faust.“ (S. 108)

Sie scheut sich auch nicht davor, ihren Protagonisten unangenehme oder negative Charakterzüge zu verleihen, lässt sie völlig natürlich auftreten und handeln. Die harte Realität bleibt nicht außen vor wie beispielsweise bei der Szene mit der Transsexuellen in der Bank.

Während es zur Mitte hin etwas schwächelt, packt einen das letzte Drittel wie einen Sog und zieht einen mit sich. Da gibt es weder für Nora noch für den Leser ein Entkommen. Dazu passt auch der Schreibstil, der von Aneinanderreihungen lebt, sowohl bei Sätzen als auch bei Satzteilen, die nur mit Kommata verbunden sind, so dass man nur kurz Luft holen kann, um sich direkt weiter draufzustürzen.

Manches bleibt unklar. Welche Fährten sind getürkt? Welche Spur ist echt? Wer ist Freund, wer Feind?

Manchmal verstrickt sich auch die Autorin selbst, wenn sie von dem Schweizer Taschenmesser erzählt, das Norah von ihrem Vater bekommen hat (S. 109), den sie aber ein paar Seiten weiter nie kennengelernt hat (S. 118).

Dennoch ist dies ein spannender Thriller, der durch die klare und moderne Sprache besticht, und dessen atemlos verfolgtes Ende über den schwächeren Mittelteil hinwegsehen lässt.