Neuanfang

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Die junge Journalistin Norah liebt Neuanfänge, dass Alte ausradieren, einen Stift nehmen und das Leben neu zeichnen. Doch dieser Neuanfang ist eher eine Flucht. Nach einer für sie völligen Katastrophe in der Partnerschaft, verlässt sie ihren Mann, ihren Hund und auch ihre Stadt Berlin und nimmt Hals über Kopf eine Stelle in Wien an. Dort angekommen muss sie feststellen dass diese Stadt abweisend und kalt ist, und das liegt nur bedingt am Wetter. Den ersten Schreck erleidet sie, als sie ihre neue Nachbarin kennenlernt. Schmerzhafte Erinnerungen an den Suizid ihrer besten Freundin werden in Norah wachgerufen, denn Theresa ihre neue Nachbarin ähnelt doch sehr ihrer verstorbenen Freundin Valerie. Unheimlich ist auch die Begegnung mit einer alten Bettlerin. Diese prophezeit Norah folgendes: „Am 11. Februar wirst du am Prater einen Mann namens Arthur Grimm töten. Aus freien Stücken. Und mit gutem Grund.“ Sie tut es erst als eine Spinnerei ab, doch Zweifel machen sich breit, als sie dann noch das Gefühl hat, das aus ihrer Wohnung Dinge verschwinden, sich viele Freunde von ihr abwenden und sie eigenartige Textnachrichten von einer unbekannten Nummer auf ihrem Smartphone auftauchen, ist sie mehr als verunsichert.

Melanie Raabe konnte mich mit „Der Schatten“ sehr überzeugen, und das obwohl sie eher leise Töne anschlägt. Sie lässt sich wie auch in ihrem Vorgänger „Die Wahrhaft“ etwas Zeit bis sich ihre Geschichte entfaltet. Ab dann wird der Leser belohnt mit gut gesetzten Spannungsbögen und vielen geschickten Wendungen. Ihr Schreibstil ist flüssig und sie verfügt über eine Schreibgewandtheit die mir sehr zusagt. Doch ganz besonders hat mich die Figur der Norah in ihren Bann gezogen. Eine unheimlich starke Frau, die jedoch keinen Zentimeter von ihren Prinzipien, die das möchte ich betonen sehr ehrenwert sind, abweicht. Auch wenn sie dies Partnerschaften, Guthaben auf der Bank und/ oder langjährige Freundschaften kosten könnte, sie macht da keine Kompromisse. Da gibt es zum Beispiel eine Szene auf der Seite 44 (und folgende), dort steht sie in einer Bank und muss miterleben wie der Bankangestellte einen transsexuellen Kunden dermaßen runterputzt, das es ihr ein sofortiges Bedürfnis ist, diesem Bankangestellten Benehmen, auf die leisen Töne, beizubringen. So eine Protagonistin muss Einem einfach sympathisch sein, denn die Autorin überzeichnet nicht.
Gerade weil sie über solche Charaktereigenschaften verfügt, kommt sie in den Strudel dieser mysteriösen Ereignisse. Warum sollte sie einen Mann töten den sie gar nicht kennt. Die Auflösung dieser spannenden Frage hat mich dann doch etwas überrascht, ich ahnte zwar von Anfang an, worauf es hinauslaufen wird, doch ganz so habe ich es nicht erwartet, das Ende hingegen hat mir wiederum sehr gefallen.