Äußerer Schein & innerer Druck

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»Dem Schlaf gehört alles: mein Tag und meine Nacht.«

Tamar Noort, bekannt durch ihr gefeiertes Debüt »Die Ewigkeit ist ein guter Ort«, legt nun mit »Der Schlaf der Anderen« einen ebenso tiefgründigen wie berührenden Roman vor. Im Mittelpunkt stehen die beiden Frauen Janis und Sina, die auf unterschiedliche Weise in ihrem Leben aus dem Takt, und damit aus dem Schlaf, geraten sind:

Janis arbeitet seit nunmehr zwei Jahren als Nachtwache in einem Schlaflabor, macht dort das Licht aus und flüstert »Gute Nacht«, sobald die Kamera läuft. Sie begleitet fremde Menschen ins Reich der Träume, während sie selbst die Grenze zwischen Wachen und Schlafen verloren zu haben scheint. Irgendwie ist es ihr egal, denn sie hat schon lange keinen Einfluss mehr auf andere Menschen, lebt allein, entfremdet, isoliert. Sina hingegen ist Lehrerin und in einem routinierten Alltag verankert. Sie lebt mit ihrem Mann, den beiden Kindern plus Hund in einem Einfamilienhaus mit Garten. Auf den ersten Blick scheint ihr Leben perfekt. Doch der äußere Schein kann Sinas innerem Druck nicht standhalten, weswegen sie aufgrund einer Schlafstörung im Labor landet. Während ihrer Übernachtung bei Janis verliert sie Schritt für Schritt die Kontrolle – über ihre Familie, ihren Beruf, ihr eigenes Ich. In Janis findet sie jedoch eine Zuflucht, jemanden, der ihr hilft, sich aus dem fremdbestimmten Alltag zu lösen …

In »Der Schlaf der Anderen« entwirft Noort ein dichtes psychologisches Porträt zweier Frauen, die in ihrem Kern miteinander resonieren, wenngleich ihre Lebensrealitäten sehr verschieden sind. Die bildhafte Darstellung innerer Unruhen und existenzieller Fragen macht den Roman zu einer feinsinnigen Auseinandersetzung mit dem Thema Schlaf – nicht nur als physiologische Notwendigkeit, sondern als Spiegel eines inneren Zustands. Noort erschafft ein Spannungsfeld zwischen körperlicher Erschöpfung und innerem Erwachen, Einsamkeit und Verbindung, Selbst- und Fremdbestimmung. Ihre Sprache ist dabei klar, präzise und dennoch von einer leise-melancholischen Intensität geprägt, die die grundsätzliche Ordnung aller Dinge zu hinterfragen scheint. Kurzum: atmosphärisch, klug, literarisch! »Der Schlaf der Anderen« ist ein Roman über Schlafstörungen, existenzielle Brüche und die Suche nach einem eigenen Lebensrhythmus – erzählt mit sprachlicher Präzision und psychologischer Tiefe. Leseempfehlung!