Die Blinde und die Lahme

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pawlodar Avatar

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Die Anlage dieses Romans erscheint zunächst recht vielversprechend: der zunächst präsentierte Schauplatz verspricht eine Art Kammerspiel. Die eine Protagonistin versorgt in einem Schlaflabor eine an massiver Schlaflosigleit leidende Patientin. Alles scheint auf eine auf diametralen Gegensätzen angelehnte Konstruktion angelegt. Die Nachtwache lebt allein, es ist zunächst von keinerlei sozialen Beziehungen die Rede, seit Jahren macht sie aufgrund ihrer Berufstätigkeit die Nacht zum Tage, sie wirkt vorläufig kompetent und zupackend. Das Gegenbild liefert die Patientin: eingebunden in ein enges Netz von familiären und beruflichen Beziehungen droht sie zu ersticken. Spontan entwickelt sich eine über das berufsbedingte Maß hinausgehende Nähe. Die Ereignisse, die diese Annäherung hervorrufen, erscheinen allerdings reichlich hypertroph, unwahrscheinlich und überspannt.

Denn nach dem Ende dieser Nacht, die natürlich kein brauchbares Schlafprotokoll liefert, wendet sich der Blickwinkel, und die Lebenshypothek der Nachtwache wird sichtbar. Nun ist sie es, die unter der plötzlich sichtbar werdenden Last niedergedrückt wird und nur in der Aufgabe ihrer Tätigkeit eine Lösung sieht.

Leider ist es sehr unbefriedigend, dass dieser anfangs so strenge Aufbau des Romans aufgebrochen wird zugunsten einer überbordenden Abfolge von zunehmend skurrilen bis wirren Episoden.

Schlaflosigkeit als Symptom einer Gesellschaft, die ihre Mitglieder Überforderung und Orientierungslosigkeit aussetzt, wäre ein ausreichender Fokus, um ein erhellendes und befriedigendes Leseerlebnis zu bieten. Die beiden Hauptfiguren, in ihrer jeweiligen Verkürzung als Blinde und Lahme zu interpretieren, verkörpern in ihrer Anlage ein erschütterndes Bild weiblichen Leidens, das jedoch um einer positiven Botschaft Willen, zugunsten einer hoffnungsvollen Perspektive, zu einem geradezu süßlich-kitschigen Romanende verwässert wird.