Eine folgenreiche schlaflose Nacht

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Den Debütroman von Tamar Noort „Die Ewigkeit ist ein guter Ort“ habe ich nicht gelesen. Sowohl das Cover als auch die Kurzbeschreibung, in der es um eine Pastorin und um Glaube geht, hatten mich absolut nicht angesprochen.
Ganz anders ging es mir jetzt mit Cover und Kurzbeschreibung von „Der Schlaf der Anderen“. Die Leseprobe hat mich dann letztendlich überzeugt, es mit dem zweiten Roman der Autorin und Filmemacherin zu versuchen.

In „Der Schlaf der Anderen“ erzählt Noort von zwei Frauen, deren Begegnung eine ganze Kaskade von Veränderungen auslöst, äußerliche wie innerliche.
Sina und Janis lernen sich in einem Schlaflabor kennen. Sina, die Kunstlehrerin Mitte 40, leidet seit längerer Zeit an massiven Schlafstörungen. In dem Schlaflabor, in dem Janis für die Nachtwache zuständig ist, sollen die Ursachen untersucht werden.
Beide Frauen spüren schnell eine Art Verbundenheit, denn auch bei Janis, ist der Wach-Schlaf-Rhythmus durch die ständige Nachtschichtarbeit aus dem Lot.
Ebenfalls stehen beide Frauen an einem Punkt in ihrem Leben, an dem sie sich schon viel zu lange mit einer ungenügenden Lebenssituation zufrieden gegeben haben.
Vor allem Sina, die eigentlich Künstlerin werden wollte, fühlt sich als Mutter und Ehefrau in ihrer eingeschlafenen Ehe zunehmend alleine und unsichtbar und weit von ihren eigentlichen Lebensträumen entfernt.

Als Sina auch in dieser Nacht keinen Schlaf findet, lassen sich beide Frauen durch die Nacht treiben und erkunden ihre neue, zarte Bekanntschaft.

„Ja, was wäre, wenn Sina und ich Freundinnen wären? Wenn ich Teil von ihrem Leben wäre und sie Teil von meinem? Der Gedanke breitet sich in mir aus, warm und wohlig.“

Ein Verrat beendet diese aufkeimende Freundschaft allerdings ziemlich abrupt, und jede kehrt in ihr Leben zurück.
Aber nichts ist so, wie es vorher war. Sowohl in Sina als auch in Janis hat die Begegnung und die gemeinsame Nacht Spuren hinterlassen und einen subtilen Entwicklungsprozess angestoßen…

„Sie war gleichzeitig die Sina von gestern und die Sina der Gegenwart, und das hatte zur Folge, dass eine Sina der Zukunft plötzlich vorstellbar war. Bis jetzt.“

Ich fand, dass der Roman sprachlich wunderschön geschrieben war und Noort mir die Innenwelt der beiden Frauen mit ihren inneren und äußeren Zwängen super nahe gebracht hat. Es ist eine tolle Geschichte über Freundschaft, Veränderungen, vergessene Träume und zarte Gefühle. Es ist aber nicht unbedingt ein scharfer gesellschaftskritischer Roman. Natürlich kann Sinas ausbleibender Schlaf als eine Form der Verweigerung gesehen werden, als eine Form des zwangsweisen Widerstandes gegen die vielen Rollen, die sie als Frau und Mutter in unsere Gesellschaft erfüllen muss.
Für mich persönlich nehmen diese Aspekte in dem Roman zu wenig Raum ein, denn Noorts Fokus liegt stärker auf den positiven, zwischenmenschlichen Interaktionen. Es gibt viele warmherzige und liebenswerte Nebenfiguren, wie die hilfsbereite, trostspendende ältere Nachbarin, oder den unkonventionellen, freundschaftlichen Lehrerkollegen. Ich fürchte allerdings, ich bin zu zynisch, um solche Figuren wertzuschätzen. Deswegen war der Roman mit seinen interessanten Themen für meinen Geschmack auch zu weichgespült, als dass er mich wirklich begeistern konnte.