Aufgeweckt!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
alasca Avatar

Von

Die eine darf nicht schlafen, denn sie hat Nachtdienst und muss die Schläfer in ihrem Schlaflabor überwachen, die andere kann nicht schlafen, auch wenn sie alles dafür täte – sogar ins Schlaflabor gehen. Zwei Frauen mit denkbar unterschiedlichem Hintergrund treffen aufeinander – und etwas kommt in Bewegung.

Sina ist Mutter, Ehefrau, Hausbesitzerin und Lehrerin. Janis wohnt zur Miete, ist Single und kinderlos und als ausgebildete Krankenschwester für den Job eigentlich überqualifiziert. Gemeinsam ist beiden Frauen das Gefühl der Isolation und Einsamkeit und der Entfremdung vom eigenen Leben. Am Laborbett entsteht spontan Resonanz zwischen den Beiden, aber ein gut gemeinter Übergriff sorgt dafür, dass die neue Freundschaft zu scheitern droht. Kann dieses Hindernis überwunden werden? Noorts Roman bezieht seine Spannung nicht, wie so oft, aus den Dramen einer romantischen Beziehung, sondern aus der Frage, ob diese Frauenfreundschaft eine zweite Chance bekommen wird - das fand ich sehr erfrischend.

„Ich bin nicht einfach nur müde. Ich werde müde gemacht [,,,]. Es ist nicht nur eine persönliche Frage, wie wir uns Arbeit und Freizeit einteilen, sondern auch eine gesellschaftliche, eine kulturelle.“

Schlafstörungen, Care-Arbeit, Job und Mental Load, Kapitalismus, Schichtdienst und die Zerstörung der inneren Uhr - wie Noort die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge im Leben ihrer Progatonistinnen aufdröselt und dabei zur Reflektion der eigenen Situation einlädt, das ist ungemein elegant gemacht - der Text bleibt jederzeit nah an seinen Figuren, ohne jemals ins Dozieren abzurutschen. An den eindringlichen Formulierungen merkt man, dass die Autorin aus persönlicher Erfahrung weiß, wie sich Schlaflosigkeit anfühlt.

„Der Schlaf gebietet über meinen Körper. Ich verabscheue ihn dafür, aber gleichzeitig sehne ich ihn herbei.“

Was den Roman trotz des ernsten Themas zum Lesevergnügen macht, ist die präzise, unangestrengte Sprache und die vielen lebendigen Szenen - genau beobachtet und mit feinem Humor beschrieben. Auch die pointierten Dialoge, z. B. mit Janis´ fürsorglicher Nachbarin oder Sinas anarchischem Kollegen, machen einfach Spaß zu lesen und verleihen dem Roman Leichtigkeit. Dazu kommt die kluge Konstruktion - die wechselnden Perspektiven von Janis und Sina ermöglichen einen differenzierten Blick auf beide Lebenswelten. Eine narrative Umkehr zur Mitte des Romans ist so kunstvoll gemacht, dass man sie erst nicht bemerkt, dabei aber niemals verwirrend.

Kann man sein Leben ändern? Diese Frage schwingt im Roman durchgängig mit. Die Begegnung von Sina und Janis ermöglicht beiden einen Perspektivwechsel und eine Neubewertung ihrer Lebensumstände. Werden sie den Mut haben, sich von Konventionen und Erwartungen zu lösen und eine andere, neue Art der Existenz finden? Das ist fesselnd zu lesen bis zum fulminanten Schluss.