Rezension zu "Der Schlaf der Anderen"
In "Der Schlaf der Anderen" begegnen wir zwei Frauen, deren Leben auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten - und die doch durch eine stille, existenzielle Unruhe miteinander verbunden sind.
Sina ist verheiratet, Mutter zweier Kinder, Lehrerin, Familienhund inklusive - ein scheinbar rundes, bürgerliches Leben. Und doch wird sie seit Monaten von einer tiefgreifenden Schlaflosigkeit heimgesucht, die weit über bloße Müdigkeit hinausgeht. Janis dagegen lebt zurückgezogen, arbeitet als Nachtschwester in einem Schlaflabor und scheint in ihrer emotionalen Isolation fast eingefroren. Als Sina zur Untersuchung in eben dieses Schlaflabor kommt, treffen die beiden Frauen aufeinander - und ihre Begegnung wird zum Auslöser leiser, aber bedeutender Erschütterungen.
Das Buch ist in drei Abschnitte gegliedert, und der ruhige, unaufgeregte Stil passt hervorragend zur atmosphärischen Dichte der Geschichte. Besonders auffällig und literarisch klug ist der Einsatz unterschiedlicher Erzählperspektiven: Janis’ Kapitel werden konsequent in der dritten Person erzählt - kühl, beobachtend, distanziert. Diese Form unterstreicht ihre gesellschaftliche Abgrenzung und emotionale Abgeschlossenheit. Man sieht sie wie durch eine Glasscheibe - da, aber unerreichbar.
Sinas Kapitel hingegen beginnen in der Ich-Perspektive: Ich als Leser bin unmittelbar bei ihr, spüre ihre Erschöpfung, ihre Reizbarkeit, ihre Selbstzweifel. Doch irgendwann wechselt auch ihre Perspektive zur dritten Person - ein erzählerischer Kniff, der ihre wachsende Entfremdung und das Gefühl, nicht mehr wirklich in ihrem eigenen Leben zu stehen, eindrucksvoll transportiert. Dieser Wechsel ist subtil, aber wirkungsvoll und spiegelt perfekt den inneren Wandel beider Figuren.
Thematisch bewegt sich der Roman auf gesellschaftskritischem Terrain: Rollenbilder, weibliche Unsichtbarkeit, Burnout, mentale Überforderung, das stille Funktionieren am Rande der Erschöpfung- all das wird nicht laut verhandelt, sondern fein eingewoben in die Beobachtungen der beiden Protagonistinnen. Es ist ein Buch, das mit großer sprachlicher Klarheit und poetischer Zurückhaltung tief unter die Oberfläche blickt - kraftvoll, ohne Pathos.
Ein stilles, kluges Buch über zwei Frauen, die wach sind in einer Welt, die schläft.