Tiefgründiger Schlafwandel

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mausi_liest Avatar

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Zwei Frauen treffen im Schlaflabor aufeinander: die Nachtschwester Yanis und die Lehrerin Sina. Dass diese Frau kein typischer Gast ist, spürt Yanis sofort, doch dass die gemeinsamen Nachtstunden ihr Leben auf den Kopf stellen werden, ahnt sie nicht.
Der Wechsel von der personalen (Yanis) zur Ich-Perspektive (Sina) erzeugte beim Lesen das Gefühl, beim Beobachten der Gehirnströme der Schlafenden in ihr Gehirn und damit in ihre Erinnerungen zu springen und diese dann zu erleben. Während die Nacht fortschreitet, entsteht so langsam ein Bild vom Leben der Gymnasiallehrerin und ihren Schlafproblemen. Gleichzeitig sehnt man den Zeitpunkt herbei, an dem die Beiden ins Gespräch kommen. Was sich aus dieser intensiven Begegnung alles entwickelt, ist wirklich überraschend – und das in mehrfacher Hinsicht.

Tamar Noort lässt ihre Protagonistinnen sich aufeinander zu bewegen, sich abstoßen und wieder näher kommen – und das in Wellenbewegungen: mal heftig ausschlagend, mal flach. Ganz den Hirnströmen in einer Nacht entsprechend. Dabei greift sie viele Facetten des Themas Schlaf auf: eigener Schlafrhythmus, Funktion des Schlafs, Auswirkungen von Nachtarbeit, gesellschaftliche Überzeugungen zum Schlaf usw. Es wird deutlich, wie Schlaf das Leben prägen kann, wenn er ausfällt oder in Zeiten fällt, die dem Lebensrhythmus der Gesellschaft nicht entsprechen.
Die Geschichte wird eindringlich, spannend und in einem schnörkellosen Stil erzählt. Das Tempo variiert, doch langatmig wird es nie. Mit beiden Figuren konnte ich mich gut identifizieren, was auch noch dadurch erleichtert wurde, dass die Autorin die Perspektiven im zweiten Teil vertauscht, sodass von beiden Protagonistinnen mal aus der Ich-Perspektive erzählt wird: von Sina im ersten und von Yanis im zweiten Teil. Das führt zu einem intensiven Leseerlebnis, und es fiel mir schwer, das Buch aus der Hand zu legen. Doch mein Schlafbedürfnis war letztlich stärker.
Das Cover passt sehr gut zum Thema: für mich eine Frau (es könnten beide Protagonistinnen sein), die aus einem Fenster schaut und Kaffee trinkt, um wach zu bleiben – die eine am Tag, die andere bei Nacht.