Wenn das Leben den Schlaf abtötet

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"Schlaf ist nicht so natürlich, wie er scheint."

Sina hat mit schweren Schlafproblemen zu kämpfen, die sie in ein Schlaflabor führen. Dort arbeitet Janis seit zwei Jahren als Nachtwache, nachdem sie ihren kräftezehrenden Job als Krankenschwester aufgegeben hat. Auch sie gehört zu denen, deren Schlaf-Wach-Rhythmus nicht mit der Welt draußen zusammenpasst. Und so finden sich diese zwei auf ihre jeweils eigene Art verzweifelten und schlaflosen Frauen und helfen sich gegenseitig, langsam wieder zu leben.

Ganz leise und langsam erzählt Tamar Noort hier die Geschichte zweier einsamer Frauen. Die eine, Sina, ist einsam in ihrem Familien- und Arbeitstrott. Sie liebt ihre beiden Kinder und den Hund, aber ihren Mann Matthias, den hat sie vielleicht noch nie geliebt. Eigentlich ist sie Künstlerin, aber um der Stabilität willen hat sie sich für den Lehrerberuf entschieden. Irgendetwas raubt ihr Nacht für Nacht den Schlaf, und sie hat große Angst davor, der Wahrheit dahinter ins Auge zu blicken. Als jemand, der selbst vor nicht allzu langer Zeit mit immer schlimmer werdenden Schlafstörungen und reihenweise schlaflosen Nächten zu kämpfen hatte, hat mich Sinas Perspektive sehr bewegt. Ich konnte richtig nachfühlen, was sie empfindet, diese merkwürdige Leere und gleichzeitig Schwere nach drei Nächten ohne Schlaf. Den Anspruch, trotzdem um jeden Preis funktionieren zu müssen - als Mutter, Ehefrau, Lehrerin. Das Belächelt-Werden. Die ungebetenen Tipps und Geschichten von anderen, die "auch mal nicht so gut schlafen". Es geht unter die Haut, und Sina weiß eigentlich längst, was da nicht stimmt in ihrem Leben. Sie hat ihre Wünsche, Träume und Hoffnungen aufgegeben, lebt in einer Zweck-Ehe, über die kaum etwas berichtet wird, außer den nervigen Marotten des Ehemanns. Er ist nichts als eine Randerscheinung, die aber dafür sorgt, dass Sinas Schlaf, ihr Leben dauerhaft in Dysbalance sind. Es wird zwar auch angedeutet, dass das ganze Familienleben, das Lehrerinnendasein eigentlich nichts für Sina sind, dass sie darin aber durchaus Erfüllung, Liebe, Freude und Schönheit finden kann. Es ist nicht alles schlecht, es ist nur aus dem Gleichgewicht geraten. Eine sehr nahbare, menschliche Geschichte.

Dass bei solchen Schlafproblemen auch kein Schlaflabor hilft, in dem Dinge wie Restless Leg Syndrom und Schlafapnoe, aber keine psychischen Belastungen diagnostiziert werden können, ist Sina eigentlich auch klar. Trotzdem begibt sie sich für eine Nacht in Janis' Obhut, und die beiden Frauen kommen sich unerwarteterweise näher. Janis lässt den Berufsethos der Distanz fahren und weiß selber nicht recht warum. Es entsteht eine zarte Verbindung über eine Nacht, die die beiden Frauen teilen und die sie beide in eine neue Richtung weisen soll. Auch Janis kämpft mit dem Schlaf - da sie seit 20 Jahren Nachtschichten schiebt, ist sie mit der Welt aus dem Tritt geraten. Sie ist, im Gegensatz zu Sina, single, in keinerlei soziale Netze eingebunden, völlig für sich allein. Das stört sie nicht wirklich, bis sie eben Sina trifft. Diese kurze Begegnung zeigt ihr, wie schön die Nähe anderer Menschen sein kann. Und auch sie öffnet sich danach dem Leben wieder etwas mehr. Nicht überschwänglich, nicht übertrieben, sondern vorsichtig, langsam, nach und nach. Auch dieser Teil der Erzählung hat mir gut gefallen, Janis ist authentisch und nahbar, und, wie Sina, in ihrer Entwicklung so menschlich.

Tamar Noort hat ein ruhiges, langsames und versöhnliches Buch über den Schlaf und das Leben geschrieben. Zwei Frauen, die mit beidem zu kämpfen haben, unterstützen sich auf sanfte Art dabei, und ganz ohne es zu beabsichtigen, wieder ein wenig mehr da, ein wenig wacher zu sein. Und das ist eine schöne Botschaft, die ich diesem wirklich netten Roman entnehme. Er hinterlässt in mir ein warmes, weiches Gefühl, dass alles irgendwie gut werden kann.