Zwischen Reflexion und Roadtrip

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aischa Avatar

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Der Klappentext von "Der Schlaf der Anderen" verspricht eine spannende Geschichte über Schlaflosigkeit, Überlastung und die Begegnung zweier sehr unterschiedlicher Frauen. Und tatsächlich war ich zunächst positiv überrascht: Die Ausgangssituation ist interessant, die Figuren – die gestresste Fachkrankenschwester Janis und die erschöpfte Kunstlehrerin Sina – wirken auf den ersten Blick wie aus zwei verschiedenen Welten, und gerade darin liegt ein Reiz. Ihre vorsichtige Annäherung, die Freundschaft, die sich daraus entwickelt, aber auch schnell wieder ein Ende findet, fand ich anfangs durchaus fesselnd.

Doch je weiter ich las, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass der Roman sein eigenes Potenzial verschenkt. Tamar Noort reißt viele große Themen an – Frauenbilder, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Belastungen im Pflegealltag, die Gefahr des Burnouts –, aber sie geht kaum in die Tiefe. Stattdessen verliert sich die Erzählung immer stärker in einem eher amüsanten Roadtrip, der mich leider nicht überzeugen konnte.

Am stärksten waren für mich die Passagen, in denen die Protagonistinnen ihr eigenes Handeln reflektieren und sich mit ihren (Fehl-)Entscheidungen auseinandersetzen. Doch diese Selbstreflexion bleibt letztlich unvollständig, weil die Auseinandersetzung mit den Menschen um sie herum fast völlig fehlt. Warum konfrontiert Sina ihren Mann nicht mit ihrer Überlastung, sondern trägt die gesamte Last schweigend allein? Warum zieht Janis sich so radikal ins Schneckenhaus zurück, statt Unterstützung bei Freunden oder Kollegen zu suchen?

Und schließlich wirkt das Ende für mich schlicht unglaubwürdig. Eine einzige gemeinsame Nacht im Schlaflabor (und ein Gewaltmarsch mit Sofa durch die halbe Stadt) genügt, um die Lebenswege beider Frauen wieder „in die Spur“ zu bringen – das ist mir zu konstruiert und wirkt wie ein erzwungenes Wohlfühl-Happy-End. Gerade nach den durchaus ernsten Ansätzen zu Beginn hätte ich mir mehr Mut zur Konsequenz und mehr Tiefgang gewünscht.

Fazit: Der Schlaf der Anderen liest sich stellenweise unterhaltsam, verschenkt aber viel von dem Potenzial, das in der Geschichte steckt. Ich hatte eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den Themen Überlastung, Rollenbildern und Selbstbestimmung sowie neue Denkanstöße erhofft und wurde enttäuscht.