Das Leid der Verschickungskinder

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Eva Völler zählt zu meinen Lieblingsautorinnen, ich habe sowohl ihre historischen Krimis als auch die Ruhrpott-Saga und Die Dorfschullehrerin-Dilogie sehr gern gelesen. Auch mit ihrem neuen Roman Der Sommer am Ende der Welt konnte sie mich begeistern.
Hanna, 40, ist Journalistin. Sie recherchiert auf Borkum im Hotel Dünenschloss, das in den Sechziger Jahren ein Kindererholungsheim war. Ihre Mutter hatte als Fünfjährige sechs Wochen in dem Haus verbracht und kehrte traumatisiert und verstört zurück nach Hause.
Hanna wird von ihrer knapp sechzehnjährigen Tochter Katie begleitet. Im Dünenschloss werden die beiden herzlich begrüßt und in der schönsten Suite untergebracht. Bald stellt sich heraus, dass die Hotelbesitzer ein großes Interesse daran haben, dass Hanna nicht zu viel in der Vergangenheit wühlt – sie könnte kompromittierende Familiengeheimnisse ans Tageslicht befördern.
Schon bei der Ankunft der Fähre auf Borkum lernt Hanna den charismatischen Inselarzt Ole kennen, dessen Praxis direkt neben dem Hotel Dünenschloss liegt. Oles Familie lebt schon seit Jahrzehnten auf Borkum, die Praxis gehörte einst seinem Großvater.
Während ihres Aufenthaltes im Dünenschloss führt Hanna viele Gespräche mit Sabine, die 1963 zusammen mit Hannas Mutter in dem Verschickungsheim war. Die damals Siebenjährige kämpft bei den Erinnerungen an Borkum mit den Tränen: Drakonische Strafen für Vergehen wie Einnässen, Zwangsernährung, bei der die Kinder gezwungen wurden, ihr Erbrochenes zu essen, feste Toilettenzeiten, Toilettenverbot in der Nacht, diktierte Heile-Welt-Briefe an die Eltern, Spaziergänge in Zweierreihen statt Spielen und Toben am Strand.
Bei ihrer Recherche stößt Hanna auf zwei Kriminalfälle: Den Tod des kleinen Joseph und das Verschwinden der einzigen Erzieherin, die liebevoll mit den ihr anvertrauten Kindern umgegangen ist.
Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen: 1963 und heute. Im Mittelpunkt stehen der skandalöse Umgang mit Verschickungskindern und die Nazi-Vergangenheit der Heimleiterin und des Arztes. Hinzu kommt die Aufklärung des Todes- und Vermisstenfalles und last but not least zwei Liebesgeschichten: Die zwischen Hanna und Ole und den beiden Teenagern Katie und Bengt. Diese lenken von der eigentlichen (Kriminal-)handlung ab. Die erste Liebe zwischen zwei Sechzehnjährigen passt nicht so recht zu der Geschichte, in der es um die Aufarbeitung einer dunklen Vergangenheit geht. Es ist auch neu, dass die Autorin bei erotischen Begegnungen so ins Detail geht – das hätte meiner Meinung nach nicht sein müssen. Nichtsdestotrotz habe ich das Buch sehr gern gelesen, ich mag den bildhaften und emotionalen Schreibstil der Autorin und freue mich schon auf weitere Bücher von ihr. Von mir eine Leseempfehlung und 4,5 Sterne.