Der Kinderkur auf der Spur

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Um mehr über das schreckliche Schicksal der Verschickungskinder zu erfahren, über die unvorstellbaren Erziehungsmethoden der gestrengen und kaltherzigen „Tanten“, über die Unbarmherzigkeit, der einst auch ihre eigene Mutter ausgesetzt gewesen ist, reist Journalistin Hanna gemeinsam mit ihrer fast sechzehnjährigen Tochter Katie auf die Nordseeinsel Borkum. Während sie für ihren Artikel recherchiert, sieht sie sich einerseits so mancher Anfeindung ausgesetzt, andererseits entwickelt sie romantische Gefühle für den charmanten Inselarzt.

Ein heiterer Rahmen in Form einer leicht knisternden Liebesgeschichte fasst das tragische Geschehen rund um die Kurkinder in ihren Erholungsstätten ein, sodass das Lesen stets abwechslungsreich bleibt und die Beschreibung der Gräueltaten in einem erträglichen Ausmaß gehalten wird. Kurz wird auch das Thema Lebensborn angeschnitten, sodass an dieser Stelle jedenfalls eine Triggerwarnung zu den beiden genannten Punkten ausgesprochen werden darf. Besonders gut gelungen finde ich den Aufbau der Handlung: in erster Linie geht es um unsere 40jährige Journalistin Hanna, deren einzelne Tage auf Borkum beleuchtet und sehr warmherzig erzählt werden. Für ihre Nachforschungen interviewt sie Sabine, die selbst als Kind sechs Wochen im Borkumer Heim Villa Aurelia zugebracht hat und schildert, woran sie sich Jahrzehnte später noch erinnert. Dazu kommen Tagebucheinträge aus der Sicht einer Erzieherin und ein süßer kurzer Schulaufsatz, der mich zum Schmunzeln bringt. Diese geschickte Verknüpfung unterschiedlicher Handlungsstränge bewirkt ein gutes Gleichgewicht zwischen Freud und Leid und lässt durchaus auch heitere Szenen zu in all den komplizierten Verstrickungen, die sich in kurzer Zeit auftun.

Lebensnahe Figuren mit vielfältigen Gedanken und Gefühlen, eine Handlung, die enorm großen Bezug zu realen Geschehnissen setzt und nicht zuletzt ein geschliffener Schreibstil bieten bewegende Momente, die in ein unterhaltsames Umfeld eingebettet sind. Wer sich also für Verschickungskinder und die Aufarbeitung familiär verwurzelter Schuld interessiert, wird hier anregende Stunden finden, von mir gibt es eine Leseempfehlung.