Teilweise erschreckend aktuell

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mellie Avatar

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Aus meiner Sicht ein wunderbarer Roman. Hauptfigur ist Selma - Tochter aus gutbürgerlichem Haus. Sie ist zum einen ganz das Kind ihrer Zeit. Sie hat einen Verlobten, ebenfalls wohlhabend und aus guter Familie; den Selmas Eltern und ihr jüngerer Bruder Grischa als sehr gute Wähl betrachten. Auf der anderen Seite versucht Selma (auch mit Unterstützung ihrer Großmutter Meta) die Grenzen ihrer Möglichkeiten auszuloten. Zu dieser Grenzerfahrung gehört auch ihre "Freundschaft" zu dem französischen Fotografen Robert.
Wobei Selma durch ihre Freundschaft mit Constanze aus Metz, die in Berlin Ingenieurwissenschaften studieren will auch ganz selbstkritisch merkt wie ziellos ihre Versuche in die Freiheit sind.
Die Geschichte beginnt 1913 in der Sommerfrische in Baden-Baden. Die Welt scheint neue Möglichkeiten zu eröffnen. Die Moderne scheint an den alten Strukturen zu rütteln.
Ein knappes Jahr später steht die Welt am Rande eines Weltenbrandes und in Selmas Familie und Freundeskreis spiegelt sich die ganze Bandbreite der Reaktionen gegenüber Kaiser Wilhelm II (von aufrechter Held bis größenwahnsinniger Irrer) und gegenüber den anstehendem Kriegsbeginn (Von "bis Weihnachten ist alles vorbei" bis Katastrophe).
Der Kern der Erzählung steckt eigentlich in einer Szene am Anfang des Buches. Selma entlässt einen Kanarienvogel aus dem Käfig. Dieser wird sogleich von einer Katze verspeist.
Es ist faszinierend wie Selma und der Rest mit ihrer Freiheit umgehen; wie persönliche Freundschaften sich in der sog "Erbfeindschaft" bewähren.
Absolut lesenswert - nicht nur wg. des anstehenden hundersten Jahrestages. Sondern weil sich manche Verhaltensweisen in der Politik auch heute wieder finden.