Ein kleiner Islandausflug

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elke seifried Avatar

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Welche vierzig Jahre alten Briefe, hat hier eine Mutter ihrer Tochter nicht gegeben? Es geht schon mit einem spannenden Prolog los und dann lernt man erst einmal Hannah kennen. Die erfolgreiche Konzertgeigerin musste aus gesundheitlichen Gründen ihre Karriere aufgeben, litt sehr darunter, dass ihr Ehemann als Dirigent weiterhin auf der Bühne erfolgreich ist und entschied sich deshalb für ein Sabbatical in Island. Gemeinsam mit ihr und ihrem vierjährigen Sohn Max kommt man im Heute mit ihr dort an und richtet sich ein. Man darf mit ihr die Tage dort erleben, Freya zur Freundin gewinnen und mit im Café arbeiten. Nicht nur Handwerker Jón beschäftigt Hannahs Gefühlswelt, auch ein zufällig aufgedecktes Familiengeheimnis hebt ihre Welt sehr aus den Angeln. Im Jahr 17989 darf man ebenfalls mit nach Island reisen, allerdings für Urlaubstage mit Monika und ihren Eltern, die ganz andere Zukunftspläne für sie haben, als sie selbst. Was wird aus ihrer Leidenschaft fürs Malen und was aus dem Mann der ihr Herz erobert, aber nicht der ist, mit dem sie verlobt ist?

„Aus den Küchen- und Wohnzimmerfenstern hatte man einen ganz hervorragenden Blick auf den Hafen des malerischen Fischerorts an der Nordküste Islands. Es schien, als ob kein Haus in der gleichen Farbe gestrichen war, Rot, Gelb, Grün oder Blau wechselten sich ab.“ Und genau dorthin nimmt einen die Autorin mit. Man fühlt sich wie in einem kleinen Island Urlaub, kann Eindrücke wie „Je näher sie dem Ufer kam, desto intensiver wurde das Aroma von Salz und Algen. Die Brandung rauschte ans schwarze Ufer, einige Seevögel kreischten über ihrem Kopf.“, oder „Sieh es als Naturschwimmbad […] Es ist am Anfang ein bisschen heiß, vor allem wenn die Füße kalt sind. […] Es gibt auch Quellen, da kocht das Wasser.“, sammeln und erfährt einiges über die beeindruckende Insel. Mit „Flatkökur, das sind flach gebackene Roggenpfannkuchen. Darauf kommen Butter und Scheiben von geräuchertem Lammfleisch.“, wird da schon mal das Angebot im Café erklärt oder in einem Beisatz beigefügt, „Monika wusste das normales Bier hier per Gesetz verboten war,“ wenn der Papa über das üble Leichtbier schimpft.

Gut hat mir auch gefallen, wie die Rolle der Frau beleuchtet wird. „Ich weiß nicht, was das soll. Auf Island haben Frauen seit jeher an der Seite ihrer Männer gekämpft, später , wenn die Männer auf der See waren, haben sie Häuser repariert, Schafe geschlachtet und die Kinder großgezogen. Ich wüsste nicht, warum sie daher in anderen Dingen nicht auch so gut sein sollten wie die Männer.“, ist da die frühe Meinung eines Arbeiters, ganz im Gegensatz zu der zeitgleichen reichen deutschen Unternehmersgattin, „Eigentlich hatten Frauen ihrer Meinung nach auch nichts im Geschäft zu suchen, wenn man es sich leisten konnte, zu Hause zu bleiben. Monika aber dachte gar nicht daran, sich in dieses antiquierte Familienbild einzufügen.“

Der locker, flüssige Schreibstil der Autorin sorgt dafür, dass die Seiten geradezu fliegen. Sie beschreibt super anschaulich und mit vielen Bildern, was mich mitten in die Geschichte versetzt hat. „Ein kühler Wind wehte um ihre Nasenspitze, Hannah klappte den Kragen ihrer Jacke nach oben und schloss einen Moment die Augen. Sie roch das Salz und die Algen des Nordatlantiks, die sich mit dem frischen Duft des Frühlingsgrases vermischten. Es war kalt, aber die Luft war gleichzeitig auch so rein und klar, dass sie förmlich spürte, wie sie sich von Minute zu Minute energiegeladener fühlte.“. Ich hatte das Gefühl, selbst mit dort stehen zu dürfen und die gute Luft riechen zu können. Immer wieder konnte ich auch schmunzeln, was mir ebenfalls gut gefallen hat. Da kann ein erster Backversuch schon mal danebengehen, und für eine Kostprobe gelten, „Ein Fehler, wie sich herausstellte. Einen Hauch Schokolade konnte sie gerade noch schmecken, ansonsten fühlte es sich an, als hätte sie den Inhalt eines Toasterunfalls - alte, verbrannte Krümel – in ihren Mund geleert. Mit einem Wort ekelhaft. Aber sie wollte sich vor Jón keine Blöße geben, kaute und kaute und nahm selbst einen Schluck Kaffee. <> Es sind ein paar Striche auf viel zu teurem Papier.<< Monikas Hals wurde enger. Natürlich, ihre Mutter wollte sie einfach nicht als Künstlerin sehen.“, oder wenn für eine Liebe unter Stand so gar kein Platz ist, >>Und das alles auf offener Straße<<, wandte sie ihre Mutter an ihren Mann. >> Mit einem Fabrikarbeiter<< und der Vater zudem noch ein >>Das muss aufhören, Monika, ist das klar?<<, hinterher schiebt. Beide Liebesgeschichten sind bewegend, müssen einige Hürden nehmen und werden nie kitschig. Dachte ich bei gut der Hälfte, die Geschichte sei vorhersehbar, das Familiengeheimnis gelüftet, hat mich die Autorin eines Besseren belehrt.

Die Autorin zeichnet ihre Charaktere gelungen. Ich hatte Monika, die „zu einer neuen, modernen Generation junger Frauen gehörte, die sich nicht nur über den ihren Ehemann definieren wollten.“, deutlich vor mir und habe mit ihr gefiebert, vor allem für ihre Liebe. Dass Kristjan ihr Herz gewinnen muss, war für mich mehr als verständlich, hätte er meines vermutlich auch. Ganz schrecklich fand ich die Mutter, deren Dominanz bei jedem Auftritt spürbar ist. Im Heute sind alle Mitspieler äußerst sympathisch. Sehr geheimnisvoll und interessant ist z.B. auch Handwerker Jon dargestellt.

Lobend erwähnen möchte ich auch noch die vielen Denkanstöße, die Freya mit ihren Äußerungen bietet. „Brauchst du denn Bewerbungsunterlagen für die Menschen, die in dein Leben treten, damit du sie danach einsortieren kannst?“, oder „Bist du bereit, wieder zu leben, oder willst du noch länger die Pause-Taste drücken?“, sind nur zwei Beispiele dafür.

Alles in allem ein toller Islandausflug, der mit einer berührenden Geschichte zu fesseln vermag. Für mich fünf Sterne und eine klare Leseempfehlung.