Gebackene Geschichte

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heike lohr Avatar

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Kuchen und Torten überzeugen immer sowohl als Geschichte als auch als Buchcover. Nirgends fühlt man sich wohler als in einer Küche, in welcher es herrlich riecht. Jenny Quinn, geborene Eton, hat zwei Geheimnisse, von denen wir als aufmerksame Leser erfahren: Das eine ist, dass sie an der Backshow teilnehmen will, das zweite ist etwas, das sich während der Backshow direkt beim Backen der alten Rezepte durch ihre Erinnerungen den Lesenden allmählich erschließt.
Jedes ihrer Rezepte, nach denen sie regelmäßig bäckt, sind mit Meilensteinen ihres Lebens positiv sowie negativ belegt. Es geht dabei nicht um wirklich schwere, doch sehr wohl schwerwiegende Erlebnisse.
Ihre größte Angst ist, was ihr Mann zu dem jahrzehntelangen Geheimnis sagen wird. Wird er sie nach 60 Jahren verlassen?
Die Backshow und Azeez, ihr Lieblingskollege, der ihr beim Casting ihre verschobene Torte rettet, werden zu ihrem Lebenselixier und helfen ihr, sich weiterzuentwickeln.
Ich habe das Buch in einer Nacht ausgelesen, weil es gerade so gepasst hat und mit viel Begeisterung mich in dieser Welt der durchschnittlichen Briten mit ihren Traditionen und ihrem handwerklichen Können verloren.
Ich habe gelacht, wie sich Jenny mit Halbwahrheiten zum ersten Probecasting durchschwindelt, wie sehr sie bei der Wahrheit zu bleiben versucht und wie besorgt ihr Asthma kranker Mann ist.
Wir erleben diesen kranken und gebrechlich gewordenen Handwerker, Tischler, der seine Familie mit Nichten und Neffen liebt, ja der alles für seine Frau tun würde.
All diese Menschen, das Kleinstadtleben und die Castingatmosphäre sind so realistisch und dennoch liebevoll geschildert, dass ich nicht anders kann, als mit ihnen mitzuleben, mitzuzittern und zu feiern.
Schließlich wird durch die Social Medias durch Jenny selbst ihr Geheimnis enthüllt. Das war ihr allerdings nicht bewusst. Ob das ihre Ehe und Familie aushält, erzeugt viel Spannung gegen Ende des Buches, das mit einer vollkommen neuen Situation endet. Alles besiegt die Liebe.
Das Buch ist für alle geeignet, die den Alltag meistern wollen und die sich nicht im Alter mit einsamen Vegetieren begnügen wollen. Liebevoll, mit verschmitzen Humor und ganz ohne sinnlose Dramatik und Tragik geschrieben, fängt uns das Buch auf und gibt uns Einblick in unterschiedliche Lebenswelten und Zeiten. Das Symbol der altmodischen Waage, die mit Gewichten und Zutaten das rechte Gewicht der Bestandteile der Köstlichkeiten ermittelt, wird zu einemsymbolischen Abwägen der guten und schlechten Erlebnisse in einem Leben. Die Verbundenheit zur Familie und deren Geschichte, die Liebe und die Tradition werden zu den Werten, nach denen in dieser Geschichte gehandelt wird. Das tröstet in der heutigen fast wertelosen Zeit, in welcher oft vergeblich nach Orientierung gerungen wird.