Im Innern des Spinnennetzes.
Als ich zum ersten Mal von Mata Hari hörte, beschloss ich, Spionin zu werden. Ich stellte mir dies geheimnisvoll und irgendwie romantisch vor.
Voller Geheimnisse ist die Welt der Spionage, in die das Buch von Ben Macintyre führt, mit Sicherheit. Romantisch ist sie ganz bestimmt nicht.
Sehr ausführlich und detailliert ist die Beschreibung des Spions Oleg Gordijewski und sein Weg zum russischen Geheimdienst KGB, der ihm sozusagen in die Wiege gelegt wurde. Aber mit seinem Bestreben, andere Länder, andere Literatur, andere Musik erleben zu können, verkörpert er nicht wirklich den typischen KGB-Angehörigen, der blindlings an das sowjetische System glaubt. Politische Ereignisse, wie der Bau der Berliner Mauer oder die Zerschlagung des Prager Frühlings lassen ihn so sehr an der Richtigkeit der sozialistischen Politik zweifeln, dass er zum britischen Spionagedienst MI6 überläuft.
Es ist außerordentlich spannend, Oleg auf seinem Weg zum Meisterspion zu begleiten. Die Intrigen, die Täuschungsmanöver, ebenso die die permanente Angst vor Enttarnung sind eindrücklich geschildert, wenn auch gelegentlich etwas langatmig. Auch wenn bekannt ist, dass ihm die Flucht aus der Sowjetunion gelingen wird, zittern wir mit ihm und seinen Fluchthelfern.
Das Buch liest sich wie eine fiktive Geschichte, ist aber eigentlich ein Sachbuch. Der Autor gibt uns tiefe Einblicke in eine Welt, die wohl den meisten LeserInnen sehr fremd sein dürfte. Oleg wird von ihm als gebildet, kultiviert und charmant beschrieben Dennoch gelingt es mir nicht, ihn sympathisch zu finden. Seinen Wunsch nachzuvollziehen, dem Land, in dem er seine Wurzeln hat, zu schaden, fällt mir schwer. Sympathischer finde ich da die Agenten, die ihre Tätigkeit des Nervenkitzels oder des Geldes wegen ausüben.
Für mich bleibt Oleg bleibt etwas grau, nebulös und unheimlich. Aber vielleicht muss das bei einem Spion so sein.
Das Buch berichtet von Ereignissen aus den 1980er Jahren. Aber auch ohne „Kalten Krieg“ gibt es Geheimdienste überall auf der Welt. Sie überziehen diese wie ein Spinnennetz, filtrieren immer noch Informationen und streuen diese. Umso verwunderlicher ist es, dass offensichtlich kein Geheimdienst den Überfall auf die Ukraine oder das Massaker der Hamas voraussehen konnte.