Mankells Debüt ist ein sozialpolitisches Puzzle

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Wer von Bestseller-Autor Henning Mankell (1948-2015) nur die Wallander-Krimis kennt, durch die der schwedische Schriftsteller in den Neunziger Jahren international bekannt wurde, wird bei Lektüre seines 1973 veröffentlichten Debütromans „Der Sprengmeister“, der vor wenigen Tagen im Paul Zsolnay Verlag erstmals auf Deutsch erschienen ist, sicherlich seine Probleme haben. Sogar erfahrene Mankell-Leser, die noch andere Romane von ihm kennen, dürften staunen: „Der Sprengmeister“ ist ganz anders!
Es ist auf 192 Seiten die Lebensgeschichte eines fiktiven schwedischen Sprengmeisters Oskar Johannes Johansson (1888-1969), die Geschichte eines einfachen Mannes, „der in die Luft flog, aber irgendwie davonkam“. Wie durch ein Wunder hatte Oskar eine Sprengung in unmittelbarer Nähe schwerstverletzt überlebt. Ein ganzes Jahr brauchte er zur Genesung, dann arbeitete er als Sprengmeister weiter.
Wir lernen Oskar erst in seinen Jahren als Rentner kennen, im Winter allein in der Stadt lebend, im Sommerhalbjahr einsam in einer winzigen Hütte auf einer kleinen Insel, wo ihn der Erzähler gelegentlich besucht. Durch wortkarge Dialoge und kurze Erinnerungssplitter erfahren wir aus Oskars ärmlichem Arbeiterleben, ahnen seine unerfüllten Träume. Die Weltgeschichte schreitet fort, er kann sie nicht ändern. Als junger Arbeiter wartete er noch auf die Revolution, um die Rechte des Proletariats zu stärken. Die Revolution blieb aus. Oskars politische Einstellung schwankt zwischen Kommunismus und Sozialismus. Er ist ein ungebildet, aber interessiert. Selbst als 80-Jähriger hört er im Radio noch den Schulfunk.
Oskar war Arbeiter. „Wie sein Vater. Wie sein Großvater. Sie waren Kanalbauer, Schleusenwärter, Latrinenarbeiter und Sprengmeister. [Großvater] Johannes, der Vater und Oskar.“ Geliebt hatte er Elly. Doch sie verließ ihn, von einem anderen geschwängert, während Oskar nach dem Unfall im Krankenhaus lag. Von ihr träumt er noch immer. Geheiratet hat er ihre Schwester. Mit Elvira wurde er glücklich. Der Sohn betreibt einen Waschsalon, nennt sich Direktor. Das gefällt Oskar nicht.
„Der Sprengmeister“ ist keine chronologisch erzählte Geschichte, sondern eine Sammlung kurzer, in der Zeit ihrer Handlung wechselnder Absätze, die sich der Leser wie bunte Puzzle-Steine selbst zu einem Lebensmosaik zusammensetzen muss. „Die Erzählung wird anekdotisch, besteht aus Fragmenten“, heißt es im Text. „Aber in der Wirklichkeit hängen die Dinge zusammen.“ Der Leser muss sich konzentrieren – und seiner Phantasie Raum geben, denn „unter der Oberfläche liegt die Geschichte“, ähnlich einem Eisberg, wie ein Kapitel überschrieben ist. „Die Erzählung bildet Oskars Einsilbigkeit ab, mit Rissen und Lücken.“
Seinen „Sprengmeister“ schrieb Mankell 1972 als 24-Jähriger. Damals war er in der 68er-Bewegung aktiv und protestierte gegen den Vietnam-Krieg, den portugiesischen Kolonialkrieg in Afrika und das Apartheid-Regime in Südafrika. Er wollte die Welt verbessern und begann als politischer Schriftsteller, der er bis ins Alter blieb. Auch 25 Jahre nach Erscheinen seines Romans habe er nichts ändern müssen, schrieb Mankell 1997 im Nachwort. „Der Sprengmeister“ ist gewiss kein leicht lesbarer Roman. Aber dank der deutschen Ausgabe erst drei Jahre nach Mankells Tod, wirkt ausgerechnet dieses Debüt wie sein politisches Testament oder Manifest.