Eine Sprungwillige, die vieles auslöst

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Menschen scharen sich sensationslüstern um ein Haus, auf dessen Dach ein Mädchen in grüner Latzhose herumturnt: Manu, die Störgärtnerin. Warum ist sie dort oben? Kann man sie überreden, herunterzusteigen? Oder wird sie doch springen? Man gafft und richtet sich unten auf der Strasse häuslich ein. So der Rahmen um das Bild, das sich in der Folge vor dem Leser entfaltet.
Insgesamt elf Personen rücken während zweier Tage näher zusammen oder werden sogar im Netz des Geschehens miteinander verknüpft. Elf Leben, auf unterschiedliche Weise in ungünstigen Gleisen festgefahren. Sie alle bekommen einen Einschnitt verpasst, werden neu ausgerichtet und angekurbelt durch einen einzigen Schritt – ins Leere. Denn dass Manu springen wird, erfährt der Leser gleich zu Beginn des Romans. Wie bei einem Krimi, der schon auf der ersten Seite den Täter offenbart, um daraufhin das Warten auf die Tat und deren Hintergründe zu beleuchten.
In diesem Lichtkegel stehen Felix, Maren, Theres, Ernesto und die anderen sieben Hauptpersonen. Sie wissen noch nicht, welche Fäden sie mit dem Mädchen auf dem Dach und ihrer Entscheidung verbinden. Schliesslich Manu selbst: eigentlich eine Lichtgestalt, die bedrohte Pflanzen auf teils kriminelle Art vor dem Untergang rettet, indem sie die Gewächse heimlich ausgräbt und ihnen eine neue Heimat verschafft. Eine Art Lebensretterin also, die aber ihr eigenes beenden wird.
Die Autorin fertigt ein Geflecht aus diesen Leben, wobei manches schon sehr an den Haaren herbeigezogen wirkt, etwa die Sache mit dem Hut. Sie breitet eine Fülle von unterschiedlichen Schicksalen und Lebensentscheidungen vor uns aus, wobei sie uns konfrontiert mit teils unglaubhaften Situationen, abstossend, erschreckend, auf jeden Fall facettenreich. Die Figuren sind ähnlich wie wir alle, stehen uns deshalb nahe und vermögen es, uns zu berühren.
Lappert erweist sich auch diesmal als hervorragende, mitreissende Erzählerin. Federleicht und teils atemlos schildert sie eine schwerwiegende, bedrückende Entscheidung. Dabei kommt der Humor erfreulicherweise nicht zu kurz. Die vielen Personen, in kurzen Kapiteln wie Perlen aneinandergereiht, waren jedoch anfangs recht verwirrend. Ich musste oft zurückblättern, um die Vorgeschichte nachzulesen, wenn diejenige Figur wieder ins Spiel kam.
Fünf Jahre sind vergangen seit Erscheinen ihres Erstlings "Wurfschatten", und nach Auflösung ihres alten Verlags fand sie in Philipp Keel einen neuen Herausgeber. Die Romane von Diogenes sind es meiner Meinung nach allesamt wert, gelesen zu werden. So auch das vorliegende Werk.