Grandioses Leseerlebnis

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dj79 Avatar

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Es beginnt mit einer Frau, die sich aufgeregt auf dem Dach eines Mietshauses einer Kleinstadt bewegt, herunterschreit und mit Dingen um sich wirft. Zahlreiche Schaulustige wie auch die Presse sind in schauriger Erwartung, was sich hier noch ereignen wird. Ein Tag und eine Nacht versucht die Polizei, die Frau zur Aufgabe zu bewegen. Neben den direkt Beteiligten treten weitere Charaktere ins Geschehen ein, die mit der Dame auf dem Dach irgendwie in Verbindung stehen.

Simone Lappert eröffnet dem Leser einen Blick mitten durch unsere Gesellschaft, präziser ausgedrückt, lässt sie uns in die Abgründe der heutigen Zeit schauen. Sie bearbeitet mit ihrem Roman Probleme, mit denen wir uns aktuell tagtäglich konfrontiert sehen. Die sehr geschickt an ihre Charaktere geknüpften Themen sind beispielsweise der soziale Abstieg durch technischen Fortschritt oder durch Schicksalsschlag, Mobbing, Untreue und dunkle Geheimnisse. Sie spielt darüber hinaus mit unserem widersinnigen Bedarf, Sensationsgelüste auszuleben. Dafür kommen zunächst die Protagonisten wie der Polizist Felix oder die meckernde Alte, Edna, recht alltäglich daher und erst im Verlauf der Geschichte wird einem klar, in welcher Lebenswirklichkeit sie sich befinden.

Ich muss gestehen, ich liebe dieses Buch und die meisten Charaktere darin: Manu, weil sie aus der Reihe tanzt, Theres und Werner, weil sie wissen, was echte Liebe ist, Egon, weil er sich für nichts zu fein ist, Winnie, weil sie tapfer trotz aller Widrigkeiten ihre angehende Frau steht und selbstverständlich Roswitha, die für jeden ein offenes Ohr und einen gern angenommenen, guten Rat hat. Im ersten Moment erscheinen manche Herausforderungen der Charaktere extrem, sind es letztlich aber nicht wirklich. Ich kannte zu fast jeder Situation ähnlich Beispiele aus meinem eigenen Umfeld. Diese überdurchschnittlich vielfältigen Möglichkeiten zur Identifikation macht den Roman hochgradig glaubwürdig und real.

Doch nicht nur die Protagonisten lassen mich den Roman auf meine Favoritenliste setzen, sondern auch die von Simone Lappert verwendete Sprache. Sie ist einfach genial oder himmlisch. Ich weiß gar nicht, wie ich es ausdrücken soll. Zum einen sind da „Hummeln, die ihren Winterpelz ganzjährig tragen“. Als Topping gibt es spontane Kommentare wie „Ich war dermaßen mit Überleben beschäftigt, dass Sterben nicht in Frage kam, […].“ (S. 163) Machmal erzeugt der Wortwitz ein spontanes Auflachen und manchmal lädt uns die Autorin zum Träumen ein. Dann hat ihre Sprache einen märchenhaften Touch. Dabei ist sie niemals kitschig, sondern einfach nur wunderbar.

Mir hat „Der Sprung“ nicht nur gefallen, er war sensationell. Es ist der absolut beste Roman, den ich in 2019 gelesen habe. Daher gebe nicht nur eine Leseempfehlung ab, sondern lege euch dieses Prachtexemplar der Literatur regelrecht ans Herz.