Nimmt ganz schön mit

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sternchenblau Avatar

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„Der Sprung“ ging mir an vielen Stellen sehr nahe und hat mich richtig mitgenommen. Das ist eine große Leistungen dieses Buchs.
Aber genau deswegen stelle ich für das Buch diese Content Note voran.

CN / Content Note / Triggerwarnung: Suizid, Tod von Kindern, Beschreibung großer Höhe

Kunstvoll gebaut
Die Protagonist*innen werden selbst getriggert, das ist integraler Bestandteil dieses Buches. Manchmal musste ich den Roman weglegen, weil er mir so zu Herzen oder zu Nieren ging. Das war intensiv, und ich finde es toll, wie Simone Lappert das schafft.
Trotz dieser ernsten Thematiken erzeugt die Autorin in ihrer Sprache und Erzählweise immer wieder eine unglaubliche Leichtigkeit. Die Geschichte selbst wird zersplittert auf viele verschiedene, sehr unterschiedliche Protagonist*innen erzählt. Diese Leben sind verknüpft und auch die Vergangenheit dieser Protagonisten wirkt sich auf die Geschehnisse aus.
Der Plot ist wirklich sehr geschickt und kunstvoll gebaut und verwoben. Daher möchte ich zum Inhalt kaum etwas verraten, weil mich einiges doch sehr überrascht hat und ich dieses Lesevergnügen jedem*r selbst überlassen möchte.
Viele Stellen habe ich notierte, weil sie so schön und wahr sind, wie auch die Sätze des obdachlosen Poeten Henry, der seine Fragen an Passanten verkauft.
„Hast Du den Trotz in ihrem Gesicht gesehen, die Wut in ihrem ganzen Körper? Wer schreit und tobt, wünscht sich nicht, das Leben wäre vorbei. Er wünscht sich, es wäre anders.“
Es ist manchmal wundervoll, wie das Leben so spielt, und manchmal bitter und traurig. Nur kleine Handlungen können zu großem Leid oder zu großer Freude führen. Das erzählt dieser Roman.

Tolle Frauenfiguren
Sehr gut gefallen hat mir zudem die feministische Sicht, die sehr implizit in den Text verwoben ist. Die Männer sind eher die, die nicht zu Potte kommen, sich mit Egokämpfen oder anderem aufhalten. Die Frauen gehen fast alle in ganz unterschiedlicher Weise einen Schritt nach vorne. Und dann kritisiert „Der Sprung“ die Gesellschaft, das „Gaffertum“, die kapitalistischen Zyklen, die Feindseligkeiten gegenüber den Ausgestoßenen.

Zersplittert
Dass diese Geschichte zersplittert ist, macht sie aus. Aber manchmal war sie mir zu zersplittert. Oder manchmal wiederum ein Splitter zu viel, wenn ich mir dachte, ja, das habe ich jetzt schon verstanden. Manche Splitter hingegen fehlten mir. So gab es ein, zwei Protagonisten, bei denen ich bis zum Schluss überlegen musste, wer sie denn jetzt waren. Dass nicht alle Stränge auserwählt werden, macht eine solche Geschichte ebenfalls aus, dennoch fehlte mir hier das Gefühl eines Endes. Und an die zentrale Figur kam ich am allerwenigsten ran. Wieder das Teil des Konzepts, das ist mir bewusst, aber auch hier hatte ich das Gefühl des Bedauerns. So ließ mich das Buch etwas unbefriedigt zurück.
Ich muss gestehen, dass das Buch für mich vielleicht auch unter der großen Erwartungshaltung geächzt hat, weil ich schon mitbekommen habe, dass viele Leser*innen es so großartig fanden (ohne, dass ich Rezensionen gelesen hätte). Da fallen mir dann kleinere Schwächen deutlicher auf, eben weil ich Perfektion erwarte.

Fazit
In vieler Hinsicht ist „Der Sprung“ ein tolles Roman, der aber für mich von der Perfektion doch noch ein Stück entfernt ist. Für die tolle Sprache und die kluge Konstruktion gebe ich 4 von 5 Sternen. Von der Autorin werde ich sicherlich wieder etwas lesen.