Voller Leben und Weisheit

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Das kleine Städtchen Thalbach bei Freiburg ist „ein Umsteigebahnhof, eine Durchgangsstation“, hier leben all die „Hängengebliebenen, Abwartenden oder Festsitzenden“. Eines schönen Sommertages passiert gerade hier jedoch etwas, dass die ganze Stadt in Aufruhr versetzt: Auf dem Dach eines Wohnhauses tobt eine junge Frau, die sich weigert herunterzukommen. Hast sie etwa vor zu springen?

Schnell sammelt sich eine wahre Menschenmasse auf dem Platz vor dem Wohnhaus zusammen. Sie filmen mit, machen Fotos, sonnen sich, veranstalten ein Picknick. Für die meisten wird der Tag nur als derjenige im Gedächtnis bleiben, der die Alltagsroutine für einige Stunden durchbrochen hat. Nicht mehr und nicht weniger. Für einige wenige bedeutet dieser Tag jedoch Veränderung, Wandel. Und genau diese Menschen lernen wir kennen. Abwechselnd tauchen wir in die verschiedenen Perspektiven ein – in diejenige der jungen Manu auf dem Dach, bei der sich allerdings die Innensicht auf den Sprung allein reduziert. Wir lernen Felix, den jungen Polizisten kennen, der der Frau gut zuzureden versucht; dabei hat er mit eigenen Ängsten und Reminiszenzen zu kämpfen. Finn, den Fahrradkurier, der Manus Freund ist. Winnie, die gemobbte Schülerin, der der Voyeurismus der Menschen auf dem Platz zuwider ist. Astrid, Manus ältere Schwester, die doch unbedingt Bürgermeisterin werden möchte und nun von dieser Geschichte in ein schlechtes Licht gerückt wird. Edna, die die Frau auf dem Dach zuerst erblickt und die Polizei informiert. Theres, die mit ihrem Mann einen kleinen Laden führt, der kurz vor Konkurs steht, an besagtem Tag aber überrannt wird. Maren, die die Wohnung bewohnt, deren Dach Manu nun Stück für Stück abreißt. Egon, der früher Hüte hergestellt hat, aber seinen Laden schließen musste; ganz unerwartet kommt aber eine Wendung, die womöglich ein Comeback einleuchtet. Und Henry, den Obdachlosen, der den Menschen Lebensfragen verkauft. „Wenn Sie einen Tag aus Ihrem bisherigen Leben wiederholen könnten, für welchen würden Sie sich entscheiden und warum?“

Simone Lappert ist mit einem wunderbaren Schreibstil gesegnet. Sie kann sich mühelos und fehlerfrei in jede Figur einfühlen – die Spannbreite erstreckt sich von einem pubertierenden Mädchen bis hin zu einem älteren Mann, der dem Leben nichts mehr abgewinnen kann. Genauso mühelos taucht der Leser in die einzelnen Geschichten ein und findet sich in jeder Figur ein Stück weit wieder. Man kann man sich kaum von den einzelnen Schicksalen losreißen und vieles hallt nach, auch nachdem das Buch beendet ist. Einiges bleibt offen, sodass die Geschichten individuell weitergesponnen werden können. Und auch mit einigen Fragen bleibt der Leser zurück. Wie hättest du dich in dieser Situation verhalten? Und eine Aufforderung an uns schwingt deutlich mit: Genauer hinzuschauen – in unserer eigenen Stadt, unserer eigenen Umgebung, unserem eigenen Leben.