Wie ein Ereignis vieles verändert

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druckdeufel Avatar

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Auf dem Dach eines mehrstöckigen Hauses steht eine junge Frau. Niemand weiß, was sie vorhat. Polizei und Feuerwehr werden hinzugezogen, unten bildet sich eine Menschenansammlung. Wird sie springen?
Simone Lappert hat als Ort ihres zweiten Romans eine Kleinstadt gewählt. Eine überschaubare Welt, in die etwas Unerwartetes, ja Unerhörtes herein bricht.
In kurzen, aussagestarken Porträts stellt sie zunächst einige Menschen vor. Roswitha, die gute Seele des Cafés am Platz, den Polizisten Felix, Maren, die gerade eine Enttäuschung verarbeiten muss, den wohnungslosen Henry, der den Leuten seine Fragen verkauft, Winnie, die von ihren Klassenkameraden gemobbt wird, und andere. Das könnte unübersichtlich geraten, wären die Charakterisierungen nicht derart einprägsam, wäre nicht jedem auch ein Thema zugeordnet. Es ist genial, wie die Autorin ihre Leser dazu bringt, sich auf die Personen einzulassen. Nachzudenken über sie. Sie zu beobachten mit intensivem Interesse.
Das Besondere an den Geschichten ist, dass sie von einem Moment ausgehen. Einem Moment im Leben des Dargestellten, in den sein gesamtes Leben hineinstrahlt. Und von dem aus sich etwas entwickelt. Begegnungen finden statt. Bezüge stellen sich her. Ein Netz wird sichtbar, in welchem alles mit allem verwoben ist.
Das Melancholisch-Trostlose des Romanbeginns zeigt bald Lücken. Etwas kommt in Bewegung, Menschen agieren, was die Voraussetzung für Veränderung ist, ohne die auch Besserung nicht möglich ist. Heitere, auch witzige Szenen überraschen.
Über die Individualität jedes Einzelnen hinaus kann das Geschehen
gesamtgesellschaftlich gesehen werden. Wir erleben, wie Politik, Wirtschaft, Polizeigewalt usw. auf ein Ereignis reagieren. Das Ganze ist durchaus an manchen Stellen überspitzt, was das Buch in die Nähe der Satire rückt.
Nichts ist zufällig. Die Konstruktion des Ganzen ist vielschichtig und präzise und hat doch etwas Spielerisches. Ein Kunstwerk, das den Leser auch nach der letzten Seite noch lange nicht loslässt.