Zwei folgenschwere Tage in Thalbach

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Manu steht auf dem Dach. Eine Anwohnerin informiert die Polizei. Feuerwehr und Rettungskräfte jeder Art rücken an, das Viertel steht Kopf, alles ist anders und eine ganze Reihe Menschen, die mehr oder weniger direkt mit Manu zu tun haben oder hatten, werden in einen Strudel gezogen, der ihr Leben verändert …

Anfangs hatte ich ein paar kleine Probleme, mich in die Story zu finden. Die einzelnen Kapitel sind mit dem Namen derjenigen Person versehen, die darin die Hauptrolle spielt. Insgesamt werden sehr viele Namen genannt (mehr als 20 – da muss man sehr aufpassen) und man ahnt zunächst nicht, wer wie mit Manu zu tun hat und warum. Nach und nach erklären sich die Zusammenhänge. Es zeichnet sich ab, wie wir alle durch jede unserer Handlung eine Art Kettenreaktion auslösen. Mal ist sie kleiner, mal größer, aber irgendwie verbindet uns jede unserer Handlungen mit endlos vielen Personen. Aber nicht nur das – diese Personen finden auch wieder untereinander Berührungspunkte, und seien sie auch noch so klein. Es ist ein wunderbares Netz, das hier gesponnen wurde.

Durch diesen Stil mit den Kapiteln der einzelnen Figuren sieht man Manu und ihr Handeln aus unterschiedlichen Perspektiven. Es gibt keinen allwissenden Erzähler im üblichen Sinne und das ist einzigartig zu lesen. Jede Figur hat ein eigenes, nicht wirklich leichtes Schicksal. Alle haben einen prall gefüllten Lebensrucksack, der ihnen mehr oder weniger schwer zu schaffen macht. Der eine stürzt ab, der andere steigt auf, die eine sprengt alle Ketten, die nächste verliert alles – Simone Lippert hat die ganze Bandbreite des Lebens in dieses wunderbare Büchlein gepackt, ohne lächerlich zu werden oder unlogische Wendungen einzubauen.

Sehr oft ist das Buch melancholisch, traurig und dunkel, aber insgesamt geht es mitten ins Herz, lässt auch immer wieder lachen und am Ende erkennen, dass alle Hochs und Tiefs haben und man selbst nicht besser oder schlechter als andere dran ist. Jeder kann sich in der einen oder anderen Figur zumindest ein bisschen wiederfinden.

Das Ende ist quasi ein explodierendes Munitionslager. Alles ist danach anders, nichts mehr, wie bisher. Viele lose Enden bleiben übrig und dennoch ist das Buch komplett und rund. Das muss man erst mal so hinbekommen! Und immer wieder gibt es Momente, die fast schon philosophisch sind. So zum Beispiel, wenn Henry Lukas fragt, was ihn tröstet und dieser dann meint, dass nichts so bleiben wird, wie es ist und dies noch ausführt. Einfach super schön und für mich auch wirklich ein tröstender Gedanke, gerade im Hinblick auf die Geschichte der beiden. Oder wie Moosbach aufzählt, was er schon so alles verschwinden hat sehen. Da fehlen mir die Worte, um zu sagen, wie wunderschön dies geschrieben ist.

Störend empfand ich, dass viele Fragesätze ohne Fragezeichen waren und auch der Ausdruck „Anfang Jahr“ oder „Anfang Monat“ kam öfter vor – für mich klingt das nach einem Fehler. Doch diese beiden Punkte wiegen nicht sehr schwer und das Büchlein hat mich so sehr bewegt und berührt, dass ich die vollen fünf Sterne geben möchte. Es ist eines meiner Jahreshighlights, definitiv!