Schöner viktorianischer Krimi

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rebekka Avatar

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Eigentlich hätte Kronanwalt Sir Gabriel Ward mit einem Urheberrechtsfall um ein Kinderbuch schon genug zu tun gehabt. Dass er eines schönen Morgens Lordoberrichter Norman Dunning erstochen vor der Türschwelle seiner Kanzlei vorfand, hätte wirklich nicht sein müssen. Schlimmer noch: Der untadelige Jurist lag nicht nur in seinem Blut, ihm fehlten auch noch die Schuhe und die Strümpfe. Ein Richter, der in der Öffentlichkeit barfuß im Tempel-Bezirk Londons entdeckt wird? Schockierender konnte es im viktorianischen England kaum kommen.

Sally Smith legt mit „Der Tote in der Crow Row“ den ersten Band einer Buchreihe um den Kronanwalt Ward vor, und eins kann ich jetzt schon sagen: Sie muss sich nicht vor der großen alten Dame des viktorianischen Kriminalromans, Anne Perry, verstecken. Die Autorin ist selbst Anwältin, hat ihr ganzes Berufsleben im abgeschlossenen Tempel-Bezirk der englischen Juristen verbracht und kennt nicht nur seine Örtlichkeiten und Traditionen, sondern auch die Menschen, die dort beschäftigt sind. Geschickt webt sie dieses Wissen in die Romanhandlung ein, so dass dem Leser und der Leserin Orte und handelnde Personen deutlich vor Augen stehen.

Smiths flüssige, mit typisch britischem Humor gespickte Schreibweise geht einher mit einer ausgezeichneten Personenzeichnung. Der mit der Aufklärung des Mordes beauftragte Sir Gabriel Ward ist ein gutes Abbild des zurückhaltenden, phantasiearmen und fleißigen Juristen seiner Zeit. Dass er aber auch – anders als viele seiner Kollegen – ein Herz für Menschen hat, die nicht seiner eigenen privilegierten Schicht angehören und darüber hinaus unter einer leichten Zwangsstörung leidet, macht ihn in meinen Augen sehr sympathisch. Gut getroffen sind auch der ungebildete, aber eifrige und mit einem gesunden Menschenverstand ausgestattete Constable Wright, die arroganten Juristen und ihre oberflächlichen Ehefrauen sowie die von den Zwängen der Gesellschaftsregeln geknebelte und um ihr Lebensglück gebrachte Schwester des Mordopfers.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen und ich empfehle es allen, die lieber ruhige Krimis als blutige Thriller lesen. Den Freunden von Anne Perry sowieso.