Wiener Blut, Wiener Blut…

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kleine hexe Avatar

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Die Geschichten im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts von Oliver Pötzsch sind immer spannende Krimis, aber auch ein interessantes Stück Zeitgeschichte des fin de siècle. Wenn man bedenkt, im dritten Roman um den Totengräber August Rothmayer, Polizeiinspektor Leo von Herzfeldt und Tatortfotografin JuliaWolf spielt die Handlung im Jahr 1895, nur 9 Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, am Ende dessen das habsburgische Reich zerschlagen und auf das Kronland reduziert, so hält man Ausschau nach etwaigen Anzeichen des großen Krieges. Aber nichts dergleichen. Wien scheint nur von Wiener oder Grazer Menschen bevölkert zu sein, keine Tschechen, Slowenen, Ruthener, Kroaten Italiener oder Ungarn sind dabei. Das ist auch ein interessanter Aspekt von Oliver Pötzsch Roman. Wien kommt sehr authentisch rüber: Die alte ehrwürdige KuK Hauptstadt mit ihren Denkmälern, Kirchen, Museen, Prachtstraßen, Prater, Cafés, Restaurants und auch Bordellen, sie sind alle da. Und vergessen wir nicht den Wiener Zentralfriedhof, der heute so groß ist, dass sogar eine Buslinie dafür eingerichtet wurde.
Die Handlung, oder besser gesagt, die beiden Handlungsstränge, sind hervorragend aufgebaut und miteinander verwoben. Zuerst denkt man, die sind getrennt voneinander, dann bekommen wir die Vermutung zugesteckt, sie führen zueinander und sind eigentlich eine einzige vielfache Mordgeschichte, nur um am Ende doch als zwei separate Kriminalfälle mit getrennten Ermittlungen, hauptsächlich von unserem bekannten und geschätzten Trio geleitet, dargestellt zu werden. Oliver Pötzsch vermag es hervorragend, die Handlungslinien zu führen, zu verknoten und wieder zu trennen.
Ich liebe Pötzschs Beschreibungen vom alten Wien. Und ich liebe das heutige, gegenwärtige Wien und habe mich richtig vertieft in den kleinen Stadtplan im Innenteil des Einbands. Ich habe die beiden großen Museen in Wien besucht, das Naturhistorische ist mir in Erinnerung geblieben mit den Fossilien- und Gesteinssammmlungen. Den “Rassensaal”, von dem Pötzsch im Nachwort schreibt, gab es nicht mehr bei meinen Besuchen. Den Stephansdom (aber ohne Krypta) habe ich besichtigt und auch Konzerte gehört. Einen Tag haben wir am Wiener Zentralfriedhof verbracht. Leider konnten wir Herrn Rothmayers Häuschen nicht entdecken. Ich glaube, ein erneuter Besuch in Wien ist fällig.