Solide Basis für einen interessanten Generationenroman

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Obwohl der Leseeindruck nicht besonders viel auf die tatsächliche Handlung schließen lässt, stellt sie doch einen guten Einstieg zu einer potentiell sehr spannenden Geschichte dar. Der Grundstein ist zumindest gelegt.

Im ersten Kapitel geht es um den Rabbiner Laibl Goldenhirsch, der mit seiner Frau unter bescheidenen Umständen um 1900 in Prag lebt. Er strebt nach religiöser und spiritueller Erkenntnis und ist allein deshalb vermutlich eine spannende Figur, die hoffentlich im Roman noch ein wenig ausgearbeitet wird. Die Zeit, in der er lebt, passt nicht so richtig zu seinen transzendenten Bestrebungen, denn der technische Fortschritt und die allgemeine Modernisierungswelle durchdringt langsam ganz Europa und für viele Menschen sind die göttlichen Wunder keine adäquate Erklärung mehr für die Phänomene einer rationalisierten Welt. Tatsächlich ist auch Laibl ein Realist und lässt sich von seiner Frau nicht für dumm verkaufen, die - schwanger von einem Seitensprung - das Baby als göttliches Wunder anpreist. Aber gleichzeitig pragmatisch veranlagt und sich außerdem schon so lange einen Sohn wünschend, beschließt er bei seiner Frau zu bleiben und mit ihr zusammen dieses Kind großzuziehen.

Nach dieser Episode erfolgt ein Zeitsprung von runden 100 Jahren. Max Cohen ist ein fast 11-jähriger Junge aus den USA, dessen Eltern ihm soeben mitgeteilt haben, dass sie sich scheiden lassen.

Spannend, wenn man diese beiden Kapitel isoliert von der restlichen Geschichte betrachtet, ist die krasse Gegenüberstellung von dem Neuanfang nach einem Krieg und kurz vor einer Geburt auf der einen und dem jähen Ende einer ehemals glücklichen Familie auf der anderen Seite. Das verspricht viel Potential. Besonders gut gefallen mir Geschichten, in denen realhistorische Ereignisse verarbeitet werden und in diesem Kontext die Schicksale von Einzelpersonen herausgegriffen und beleuchtet werden.
Der Sprachstil kam mir bisher sehr poetisch und künstlerisch vor. Der Autor arbeitet mit einer ausgeprägten Bildpsrache, was ich sehr gerne lese.