Die Party Crasher

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theresia626 Avatar

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Der Roman „Der ungeladene Gast“ von Sadie Jones spielt an einem einzigen Tag, dem letzten Tag im April des Jahres 1912. Noch ist es ein schöner Frühlingstag, doch das Wetter wird umschlagen, es wird regnen und ein Sturm wird aufziehen.
Die Familie Torrington lebt in einem bezaubernden Herrenhaus aus rotem Backstein, das um das Jahr 1760 erbaut wurde und das sich auf dem großen, aber etwas heruntergekommenen Landsitz Sterne im Nordwesten von England befindet. Sie entstammt keinem Adelsgeschlecht, es sind Aufsteiger. Horace Torrington, der Vater der Kinder Emerald, Clovis und Imogen (genannt Smudge) ist vor drei Jahren gestorben. Ihre Mutter Charlotte hat überraschend nach nur kurzer Trauer den Juristen Edward Swift geheiratet, der von den beiden älteren Kindern nicht akzeptiert wird. Edward ist aus Liebe zu Charlotte sehr darum bemüht, Sterne zu retten und will sich bei einem Industriellen Geld leihen, denn Geld ist Mangelware bei den Torringtons geworden. Er verläßt Sterne am Morgen und die Kinder atmen auf. …“Edward Swift akzeptierte vorbehaltlos alles, was Charlotte war, einschließlich der Bürde, die Sterne darstellte, einschließlich ihrer unergründlichen, unbotmäßigen Sprösslinge.“ (S. 19) Während die Haushälterin Florence Trieves die Zügel straff in der Hand hält - das Haus muß geputzt und das Festessen vorbereitet werden -, hat Smudge, das etwas exzentrische und vernachlässigte Nesthäkchen ihre eigenen Vorbereitungen „für das große Unterfangen“ zu treffen, das die Familie noch vor große Probleme stellen wird.

Wegen eines furchtbaren Zugunglücks, das sich auf einer Nebenlinie der Eisenbahnstrecke in der Nähe von Worly ereignet hat, bittet die Eisenbahngesellschaft die Torringtons darum, die überlebenden Passagiere vorübergehend auf Sterne aufzunehmen. Kurz vor dieser Gruppe sind auch die geladenen Gäste, Emeralds Jugendfreundin Patience Sutton und ihr Bruder Ernest angekommen. John Buchanan, ein reicher Fabrikbesitzer, reist mit dem Auto an. Charlotte würde es mit Freude sehen, wenn Emerald John heiraten würde, das Anwesen wäre gerettet. Mit der Ankunft der ungeladenen Gäste vergessen die Torringtons die Gebote von Anstand und Gastlichkeit und verhalten sich sehr unhöflich. Anstatt sich um die Verunglückten zu kümmern und sie mit der gebotenen Gastfreundschaft willkommen zu heißen, werden sie in das Frühstückszimmer eingeschlossen und geraten erst einmal für längere Zeit in Vergessenheit, bevor ihnen eine Tasse Tee angeboten und Feuer im Kamin gemacht wird. Charlotte will von den nicht standesgemäßen Eindringlingen nichts hören und sehen, sie erinnern sie an ihre Vergangenheit. Währenddessen schleicht sich ein gestrandeter Passagier aus der 1. Klasse, Charlie Traversham-Beechers, über Clovis in die kleine Runde. Er kennt Charlotte und die Haushälterin Florence aus früheren Tagen und will sie und die anwesenden Gäste mit ihrer Vergangenheit konfrontieren, ihr wohlgehütetes Geheimnis ans Licht bringen.

Die vernachlässigten und zerlumpten Passagiere proben derweil den Aufstand, sie singen Lieder und streunen zum Leidwesen von Charlotte durch das Haus. Sie scheinen, wie durch ein Wunder, immer mehr zu werden. „Die hungrigen Seelen suchten Ruhe und Nahrung, suchten Trost und Kommunikation, suchten wie es schien, die Torringtons, und standen nun widerspenstig in der Halle herum.“ (S. 173) Irgendwann können die ungebetenen Gäste von ihren unfreiwilligen Gastgebern nicht mehr ignoriert werden.

„Der ungeladene Gast“ von Sadie Jones ist kein klassischer englischer Familienroman. Es ist eine Gespenstergeschichte mit zahlreichen literarischen Anspielungen. Sei es die bekannte Situation des abgeschiedenen Hauses oder der Eindringling, der jeden mit seiner Vergangenheit konfrontiert und alles in Frage stellt. Aber werden die Figuren durch die Ereignisse verändert? Die Charaktere der einzelnen Protagonisten sind sehr gut gezeichnet, aber nicht alle sind dem Leser sympathisch. Ein Roman, der an der Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der Toten angesiedelt ist. Er besitzt eine gewisse beängstigende und düstere Atmosphäre, ist stellenweise komisch, ja sogar amüsant und wird zum Ende hin gespenstisch. Wer diese Stilrichtung mag, für den ist das Buch eine empfehlenswerte Lektüre.