Mal was anderes!

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söphken Avatar

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Beim Lesen des Auftakts hatte ich sofort das Gefühl, in eine sehr dichte, fast beklemmende Atmosphäre einzutauchen. Der Prolog ist hart, direkt und erschütternd: Ein Anwalt, dessen Wahrnehmung zerbricht, Stimmen, die ihn drängen, und dann dieser Sturz in die Tiefe. Das alles wirkt nicht reißerisch, sondern eher verstörend ruhig erzählt, was es für mich noch intensiver gemacht hat. Der Einstieg zeigt schon, dass der Roman psychologisch tief gehen will und sich nicht scheut, Themen wie mentale Krisen, Leistungsdruck und Stigmata offen zu zeigen.

Besonders stark fand ich dann das Kapitel aus Marías Sicht. Man merkt sofort, wie routiniert und kompetent sie in ihrem Job ist, aber auch, wie sehr sie sich selbst überfordert – und das in einem Umfeld, in dem Ansehen, Perfektion und Status eine große Rolle spielen. Die Art, wie sie die Kanzlei, die Arbeitskultur und diese oberflächlichen Rankings beschreibt, hat bei mir viel Resonanz ausgelöst. Es ist diese typische Hochleistungswelt, die von außen so glamourös wirkt, innen aber gnadenlos ist. Dass ausgerechnet in diesem Umfeld jemand wie Thomas so offensichtlich durchrutscht, passt erschreckend gut zu diesem Bild.

Die Szene, in der María den Kollegen auf der Kabelbrücke entdeckt, hat mich richtig mitgenommen. Die Unsicherheit, ob sie die Situation richtig einschätzt, das Ringen zwischen rationalem Handeln und nackter Panik und dann ihr verzweifelter Versuch, ihn zurückzuholen – all das ist unglaublich menschlich erzählt. Besonders eindrücklich war für mich, wie sie später immer wieder an kleine Details denkt, zum Beispiel an seine grüne Krawatte im Luftzug. Diese kleinen Beobachtungen wirken real und zeigen, wie das Gehirn in Schocksituationen arbeitet.

Der Text hat für mich einen ruhigen, sachlichen Ton, der die emotionale Wucht gerade dadurch verstärkt. Gleichzeitig spürt man sofort, dass die Geschichte weit über einen Suizid in einem Bürohaus hinausgeht. Die Bezüge zur Kunstinstallation im Foyer, die Erwähnung von Beuys, die Symbolik von Zerstörung und Schöpfung – das alles deutet an, dass der Roman größere Fragen stellt: nach Verantwortung, Nachhall, Ursache und Wirkung.

Insgesamt hinterlässt der Anfang bei mir den Eindruck eines intelligenten, psychologisch durchdrungenen Romans, der sich Zeit nimmt, seine Figuren und ihr Umfeld ernst zu nehmen. Er wirft einen schonungslosen Blick auf Leistungsdruck, seelische Überlastung und das oft Unsichtbare hinter funktionierenden Fassaden. Und er erzählt das auf eine Art, die ruhig bleibt, aber gerade dadurch sehr unter die Haut geht.