Verstörende Dystopie

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mianna Avatar

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Weite Teile Europas und der ganzen Welt sind durch Katastrophen umbewohnbar geworden. Die Welt besteht nur noch aus Beton und entweder unaufhörlichem Regen oder Dürre. Die Oberschicht hat sich die menschlichen Gefühle von Trauer und Verlust komplett abgewöhnt und beschäftigt jetzt Vorweiner, Geflüchtete, die noch zu echter Trauer fähig sind.
Es ist beeindruckend mit welcher Wortgewalt aber auch geschicktem Sprachgebrauch der Autor diese unmenschliche Welt zeichnet. Dabei geht er mit viel bösem Sarkusmus vor und überzeichnet, grenzwertig und grenzüberschreitend. Beim Lesen war ich zwischen Vergnügen und Entsetzen hin und hergerissen. Das ist ein Roman, der entweder begeistert oder entsetzt.
Mit tiefsinnigen Wortspielen, wie "Zerstreuungsfeiern", schafft er es auf humorvolle Art das Makabre hervorzuheben. A wie Anna und B wie Berta fügen sich nahtlos in diese zerstörte und brutale Welt ein. Jedes Mitgefühl ist ihnen abhanden gekommen und damit auch jede Bedeutsamkeit füreinander. Es ist verstörend und eklig wie die Menschen miteinerander umgehen. Dem Autor gelingt es sowohl psychologische als auch soziologische Aspekte und vorallem Gesellschaftskritik glaubwürdig zu platzieren. So bringen die Medien zum Beispiel nur noch Fake-Nachrichten mit entsetzlichem Inhalt. Die Aussagekraft der Geschichte ist enorm.
Es stehen starke philosophische Fragen dahinter. Ist es möglich sich die Trauer abzugewöhnen? Woran bemisst sich der Wert von Menschen? Was braucht es für ein zufriedenes Leben? Wie können wir den großen Krisen unserer Zeit vorausschauend und umsichtig begegnen?
Das hat auch dafür gesorgt, dass ich das Buch nicht aus den Händen legen konnte - trotz innerer Abwehr, Ekelgefühlen und Entsetzen.
Schwierigkeiten hatte ich auch mit der undurchsichtigen zeitlichen Erzählabfolge. Es ist alles irgendwie durcheinandergewürfelt und wird dann auch infrage gestellt. Die Erzählerin ist nicht durchgehend zuverlässig.
Bemerkenswert erscheinen mir die sarkastischen Kapitelüberschriften zusammen mit dem kurzgefassten Inhalt vor jedem Kapitel wie "worin Berta ... (Dosenananas, sexuelle Inhalte)". Alles hat Bedeutung und braucht eigentlich einen zweiten Blick, müsste ein zweites Mal gelesen werden.
Der Roman hat mich sehr bewegt. Der geschickte Sprachgebrauch, viel böser Sarkasmus und die bedeutsame Botschaft sind positiv gegenüber den provokativ verstörenden Inhalten hervorzuheben.