Im Dienst des Vaterlandes

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buecherfan.wit Avatar

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Der einfache Kolchosbauer Pawel Aleksandrowitsch Dobrynin wird von der allgemeinen Kolchosversammlung zum Volkskontrolleur auf Lebenszeit für die ganze Sowjetunion gewählt. Das bedeutet, dass er Frau und Kinder sowie seinen geliebten Hund Mitja verlassen und seinen Auftrag überall in der Sowjetunion erfüllen muss. Er wird verschiedenen Repräsentanten der Parteihierarchie vorgestellt und von allen bestätigt. In seiner Moskauer Dienstwohnung lebt seine neue dienstliche Ehefrau, die ihm sehr sympathisch ist. Auf seiner Reise durch das Land begegnet er vielen Menschen, sieht die schwierigen Lebensbedingungen der Bevölkerung, aber auch Korruption und Machtmissbrauch aller Art, ja sogar Mord an missliebigen Kollegen und Völkermord am Volk der Urku-Jemze, deren einziger Überlebender Waplach ihn informiert. Der Urku-Jemze rettet ihm das Leben, als der Vorsitzende von Chulajba, der skrupellose Mörder Kriwitzkij, ihn umbringen will, und er macht ihn zu seinem Assistenten. Dobrynins Aufenthalt im eisigen Norden wird am ausführlichsten beschrieben und lässt tiefe Einblicke in die Sowjetgesellschaft nach der Revolution zu.

Neben dem Handlungsstrang um Dobrynin gibt es drei weitere. Da ist der einsame Schuldirektor Banow, der am liebsten bis spät abends auf dem Dach seiner Schule sitzt und träumt, dabei traurig ist, dass der Blick auf die Kremltürme immer weiter verbaut wird. In der Mutter eines Schülers, die eigentlich die Tante des Jungen ist, begegnet er der Liebe seines Lebens. Des weiteren gibt es den Künstler Mark Iwanow. Er tritt mit seinem sprechenden Papagei Kusma auf, der in der Lage ist, Gedichte auswendig zu lernen und vorzutragen. Im dritten Handlungsstrang macht sich eine sehr gemischte und stetig wachsende Gruppe von Kolchosbauern mitsamt ihren Tieren, Rotarmisten und Bauarbeitern unter der Führung des geflohenen Kolchosbauern Stepan auf den Weg in das Neue Gelobte Land. Stepan folgt sieben Nächte lang dem Stern Archipka. An der Stelle, wo der Stern vom Himmel fällt, gründet die Gruppe eine neue Siedlung. Dieser Teil der Handlung entwickelt sich zu einer Utopie von einer gerechten Gesellschaft, in der jeder sein Teil zum Gemeinwohl beiträgt und alle glücklich und frei leben. Dieser Gruppe schließt sich auch der Engel an, der eigenmächtig das Paradies verlassen hat, weil er nicht glauben kann, dass es in diesem riesigen Land keinen einzigen Gerechten gibt, der es ins Paradies schafft. Durch das Zusammenleben mit der Gruppe lernt der Engel die Menschen immer besser kennen und wird selbst immer menschlicher. Er verliebt sich sogar in die hübsche Lehrerin Katja, obwohl weltanschauliche Gegensätze sie trennen.

Die vier Handlungsstränge werden nicht verknüpft, und es ist keineswegs so, dass die Personen dieser Teile der Erzählung den Volkskontrolleur begleiten. Sie begegnen sich nicht einmal. Die einzige Verknüpfung für drei Erzählstränge ist Moskau als Schauplatz, wo Schuldirektor Banow lebt und arbeitet, wo Dobrynin sich mehrfach aufhält und wo der Künstler Iwanow mit seinem Papagei vor dem “Kremlträumer” in einer surrealen blühenden Landschaft unter dem Kreml auftritt.

Es wird deutlich, dass der Roman eine ganze Reihe von nicht-realistischen Elementen enthält und sich nicht auf die Beschreibung tatsächlicher Verhältnisse beschränkt. Er hat zum Teil satirische Züge. Die Suche nach dem Neuen Gelobten Land kann man wohl als Kritik am real existierenden kommunistischen System auffassen, sonst wäre es ja nicht notwendig, eine neue, gerechtere Gesellschaft aufzubauen. Es gibt eine Reihe von humorvollen Passagen, zum Beispiel die konstante Knappheit von Teegebäck und wie diesem Mangel abzuhelfen ist. Aber nicht immer ist der russische Humor nachvollziehbar, dazu entspricht die beschriebene Welt zu wenig unserem Erfahrungshorizont. Gar nicht komisch ist für mich das Schicksal des Protagonisten, der im Dienst des Vaterlandes sein Privatleben opfert, Frau und Kinder offensichtlich nie wiedersieht und nicht einmal um den geliebten Hund trauern darf, von dessen Ableben man ihm berichtet. Subjektiv entsteht der Eindruck, dass sehr viel Zeit vergeht, obwohl der Autor auf präzise Zeitangaben verzichtet, auch was die historische Einordnung der Erzählung betrifft.

Andrej Kurkows Roman liest sich nicht mühelos. Dafür sorgen schon die ungewöhnliche Komposition aus vier unverbundenen Erzählsträngen sowie die ungeheure Detailfülle und die überbordende Fantasie des Autors. Es ist ein lohnender und in jedem Fall sehr ungewöhnlicher Roman, wenn man sich denn darauf einlässt.