Sowjet-Märchen

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tochteralice Avatar

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Der getreue Bürger und Bewohner eines abgelegenen Dorfes Pawel Dobrynin wird quasi aus dem Nichts zum Volkskontrolleur ernannt - auf Neudeutsch wäre das der Controller des gesamten Sowjetvolkes bzw. einer davon, der für einen Teilbereich zuständig ist: bei Pawel ist das eine sehr, sehr abgelegene, eisbedeckte Region. Wir befinden uns in den frühen Jahren der Sowjetunion - es dreht sich alles um den Genossen Lenin, der leider vor einigen Jahren verstorben ist - oder doch nicht? 

Zudem taucht ein Engel auf, der durch einen Kleiderwechsel mit dem Deserteur Sergunkow zu einem Flüchtigen wird und mit seinesgleichen ein neues Leben im "gelobten Land" beginnt, eine ganz eigene Form des sowjetischen Gemeinschaftslebens.

Weitere Handlungsstränge drehen sich um den liebenswerten Schuldirektor Banow, der das Gute im Menschen sieht und um den Künstler Mark Iwanow, der mit seinem Gedichte rezitierenden Papagei durch die Lande zieht.

Ein Haufen verschrobener Menschen also, der da im frühen Sowjetreich sein Leben fristet, das trotz etlicher Brutalitäten seltsam harmlos scheint - märchenhaft eben. Eine herrliche Satire in bewährter kurkowscher Manier?

Nun, ich bin ein großer Fan der frühen Kurkow-Werke: der Doppelroman um den Pinguin Mischa und Viktor, einen Verfasser von Nekrologen, die zunächst einträchtig in einer WG in Kiew leben, sich dann jedoch aus den Augen verlieren und auf einer Odysee wiederfinden müssen, hat mich sowohl amüsiert als auch bewegt. Auch "Ein Freund des Verblichenen", in dem der lebensmüde Tolja einen Killer für sich selbst engagiert und dann verzweifelt versucht, diesen wieder abzubestellen, hat mir gut gefallen. Daher habe ich mich sehr auf das vorliegende Werk gefreut!

Doch ohje: Bei dem "Wahrhaftigen Volkskontrolleur" Pawel, der für Gerechtigkeit steht : der mal naiv, dann wieder fast philosophisch wirkt - Eigenschaften, die auch die parallel agierenden Akteure Engel, Banow und Ivanov aufzuweisen haben, wurde ich bezüglich des Lesegenusses sehr enttäuscht. Der von mir so geschätzte Osthumor blitzt zwar durchaus von Zeit zu Zeit auf, größtenteils wird der Bogen aber ganz schön überspannt. Dadurch ist es leider nicht die erhoffte geniale Satire auf den Kommunismus,  sondern ein schwer zu lesender Mix von Absurditäten. Für mich sehr schade, reiht sich der Volkskontrolleur nicht in die von mir so sehr geschätzten oben genannten kurkowschen Juwelen ein! Dazu trägt auch bei, dass die einzelnen Erzählstränge vor sich hinplätschern und nicht zu einer Handlung zusammenfließen - dadurch ist es kein richtiger Roman, sondern eine Aneinanderreihung einzelner Geschichten.

Mir fiel es sehr schwer, mich auf die Handlung zu konzentrieren und am Ball zu bleiben, ich hoffe sehr auf den nächsten Kurkow - denn nach meinem grandiosen Start mit diesem Autor mag ich ihn noch nicht ganz aufgeben!