Das Schicksal erscheint

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gerwine ogbuagu Avatar

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Die Zusammenhänge zu erkennen, darauf kommt es an. Martha Fishburne, die Lehrerin in St. Piran, dem kleinen Fischerdorf in Cornwall, ist darin eine Meisterin. Bis zuletzt, bis ans Ende der Geschichte, erkennt sie sie und gibt sie weiter. Auf S. 141 heißt es: „Die Welt wird immer komplexer, alles hängt immer noch stärker mit allem zusammen.“ Am Ende der Geschichte wird der Bogen zu einem Ereignis am Anfang hergestellt, das die ganze Geschichte über auf seine Vollendung warten musste.
In eine dörfliche Gemeinschaft bricht ein unbekanntes Schicksal ein. Einfach so. Ein Wal erscheint. „Ein schlechtes Zeichen“ laut Fischer Garrow. Ironmonger führt uns gleich in die Charaktere ein, die einen angeschwemmten Menschen entdecken. Er erscheint leblos, wenn nicht sogar tot. Er wird gerettet und damit beginnt alles – eine neue Zeit für St. Piran. Viele Dorfbewohner lernen wir kennen auf ganz und gar spektakuläre Weise.
Mit sehr poetischer Sprache tauchen wir ein in diese Geschichte von Joe, dem Banker aus London und dem Dorf St. Piran – abgelegen ist es, schwer zu finden. Im Meer schwimmt ein Wal unter der Oberfläche, hin und her…Die ruhige, genau erzählende Sprache überzeugt sofort. Sie passt zum gleichzeitigen Auf und Ab der Meereswellen in dieser interessanten Gegend der Welt – Südwestengland.
Eine Walgeschichte ist es und so viel mehr. Von der Gegenwart zur Vergangenheit und zurück in die Gegenwart schreibt Ironmonger seine Geschichte. Zur Zukunft wird es auch noch kommen. Wir lesen vom Wal, von den Menschen im Dorf und Joe Haaks Rolle, die er im Dorf eingenommen hat. Einfach so. Das Szenario ist meisterhaft komponiert, sprachlich überzeugend, immer spannend und extraordinär. Ein Buch voller Wunder, voller skurriler Menschen, die alle eine wichtige Rolle spielen. Die Geschichte ist bewegend und mitreißend. In Rück- und Vorwärtsblenden erfahren wir, was sich zugetragen hat. Die Welt verändert sich rasant in diesem Zeitabschnitt, den wir erleben, weit entfernte Katastrophen wirken bis in diese abgelegene Gegend. Ein sprachliches Wunderwerk entfaltet sich und berührt die drängendsten Fragen unserer Zeit. Was wäre. wenn eine Katastrophe ausbricht, eine Epidemie wie die Grippe 1918? Menschen wurden zu Millionen dahingerafft. Können wir uns schützen, sind Risiken durch Analysen vorherseh – und abwendbar? Hat Thomas Hobbes schon im 17. Jahrhundert erkannt, was uns zusammenhält? Ist der Egoismus jedes Menschen der Kitt, der eine Gesellschaft bindet oder gibt es noch andere, auch zutiefst menschliche Lösungen, die eine größere Rolle spielen können? Diese Geschichte gibt keine definitiven Antworten, denn was ist überhaupt definitiv in diesem Leben außer dem Tod?
Von Hobbes wird der Bogen geschlagen zu Jared Diamond. Können wir durch die Ereignisse in anderen, früheren Kulturen, deren Niedergang oder Überwindung von Problemen Lösungen für unsere Welt heute ableiten?
Ironmonger führt uns vor, wie es gehen könnte, seine Geschichte ist gespeist von Fakten und Fantasien, eine Mischung, die fasziniert. Die Welt, die er in St. Piran erschaffen hat, ist ein Spiegel des Ganzen, in dem wir uns bewegen (müssen). Auf S. 43 heißt es: “Wenn genug Menschen glauben, eine Sache ist wahr, dann ist sie wahrscheinlich auch wahr. War das nicht so?“ fragt Polly, die Frau des Pastors. Sie fragt in einem anderen Zusammenhang, der aber als Folie für die ganze Geschichte gelten kann, die Ironmonger uns hier erzählt.
Wir lesen hier eine epische Geschichte, die an alte Mythen erinnert. Ironmonger ist ein Meister der Worte, der Sätze, der Dialoge. Nicht nur, dass hier jedes Wort „sitzt“. Jeder Dialog passt und ist genau auf die Menschen zugeschnitten, die sprechen. Eine aufregende neue Geschichte ist erschienen. Ich wünsche ihr viele LeserInnen.