Die Menschheit ist nur drei volle Mahlzeiten von der Anarchie entfernt

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Im abgelegenen und winzigen Küstenstädtchen St. Piran finden Anwohner einen nackten Mann halbtot am Strand liegen. Sie bringen ihn zu ihrem alten Doc, der ihn zurück ins Leben bringt. Joe Haak, wie der Fremde heißt, erzählt von einem Wal, der ihn gerettet habe. Einige Tage später strandet dieser Wal in St. Piran und Joe mobilisiert alle Einwohner, alles daran zu setzen, den Wal wieder ins Meer zu schaffen. Für Joe geht es um mehr als den Wal. Denn Joe ahnt etwas. Die Ereignisse sind nicht mehr aufzuhalten, denn alles ist mit allem verknüpft …

John Ironmonger entführt den Leser auf zauberhafte Weise in ein Dorf, das in vieler Hinsicht speziell ist. Man kann es leicht übersehen, denn es liegt versteckt, hat nicht viel zu bieten und die Bewohner sind sich selbst genug. Der Stadtmensch Joe, der angespült wird, kommt quasi aus einer völlig anderen Welt. Extreme prallen aufeinander und das „Meeresungeheuer“, der Wal, erscheint selbst dem hartgesottensten Einwohner als eindeutiges Indiz, dass etwas auf St. Piran zukommen wird. Joe scheint das zu wissen, denn er verhält sich seltsam. Aber die Einwohner mögen den jungen Mann und spüren, dass er sie genauso braucht, wie sie ihn.

Die Personen in diesem Buch sind absolut außergewöhnlich. Wirklich böse Menschen kommen auch vor, aber diese bleiben schattenhaft. Fehler und Macken hat fast jeder, auch hier. Aber genau dadurch werden sie unbeschreiblich liebenswert. Schnell fühlt man sich als Teil der Geschichte und möchte mithelfen. Immer wieder gibt es Momente, die mich nach innen lauschen ließen und in denen ich mich gefragt habe, wie ich wohl gehandelt hätte.

Ab und an gibt es Einblendungen – doch nicht aus der Vergangenheit (ja, auch diese kommen vor, doch sie sind keine „Besonderheit“, sondern logisch und machen Sinn), sondern in die Zukunft. Das ist mir so noch nicht begegnet. Es passt aber wunderbar zum Buch, zur Geschichte, zu St. Piran und Joe Haak.

Die Sprache ist bildhaft, ohne zu stark zu beschreiben. Atmosphärisch dicht und doch wunderbar locker-leicht, fast schon märchenhaft, erzählt der Autor seine Geschichte. Die Ereignisse sind absolut außergewöhnlich, entbehren aber keineswegs einer unbestreitbaren Logik. Alles könnte tatsächlich so – oder zumindest stark ähnlich – eintreffen. Da bleibt nur zu hoffen und zu wünschen, dass man in einer solchen Gemeinschaft lebt.

Mit Fug und Recht kann man diesen zauberhaften, so leicht lesbaren und ans Herz gehenden Roman als sozialkritisch bezeichnen. Doch dabei schwingt Ironmonger nicht die Moralkeule, sondern arbeitet mit Herzenswärme und positiver Energie. Auch wenn er weit davon ist, alles schönzufärben, geht man gestärkt statt deprimiert aus St. Piran weg. Es ist eines der wenigen Bücher, bei denen mir sogar das Ende richtig gut gefällt. Es schließt sich ein Kreis auf stimmige, tröstende Weise. Ein Buch, das das Zeug dazu hat, zum Klassiker zu werden. Für mich ein Buch, das mir nicht nur sehr unter die Haut ging und das stark nachhallt, sondern auch einen Platz auf meiner Top-Ten aller je gelesener Bücher gefunden hat. Fünf Sterne!