Ein Beispiel dafür, dass Literatur zu mehr als nur zur Unterhaltung da ist

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annajo Avatar

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Ein kleiner Küstenort in Cornwall, heute oder in der nahen Zukunft: ein Teil der 300 Einwohner stürmt zum Wasser, denn es wurde ein Finnwal gesichtet, der nun auf dem Ufer strandet. Zuvor hat er auf einer Welle einen nackten bewusstlosen jungen Mann an Land gespült. Es stellt sich heraus, dass Joe Haak, eben jener angespülte Mann, ein ehemaliger Banker und Analyst aus London ist, der in der Lage ist, globale Zusammenhänge zu erkennen. Und so floh er vor dem Zusammenbruch in London in ein abgelegenes Dorf an der Küste namens St. Piran. Doch während sich zwischen ihm und den Dorfbewohnern unterschiedliche zwischenmenschliche Beziehungen entwickeln, droht auch St. Piran vom Kollaps eingeholt zu werden. Lebensentscheidende Entscheidungen müssen getroffen werden. Kann St. Piran gerettet werden und was macht das mit der Menschlichkeit der Dorfbewohner und -bewohnerinnen?

"Der Wal und das Ende der Welt" ist ganz außergewöhnliches Buch mit einer Prise Mystik, einem ordentlichen Schuss Dystopie und Referenzen zur Philosophie, aber auch der Bibel. In Anlehnung an "Jona und der Wal" besteht eine ganz besondere Bindung zwischen Joe und dem Wal, der ihm das Leben gerettet hat. Der Autor selbst zitiert die biblische Geschichte als eine Inspirationsquelle, aber auch das Buch "Kollaps" über den Untergang vergangener hochentwickelter Kulturen. Die Geschichte hat mich sehr zum Nachdenken gebracht, da der Autor ein realistisches globales Szenario entwirft und die weltweiten Zusammenhänge aufzeigt, der wir in der heutigen Zeit unterliegen. Interessanterweise fokussiert er dann jedoch nicht auf eine Ego-Shooter-ähnlichen Abenteuergeschichte, sondern auf eine Geschichte, die viel Ruhe und Gutgläubigkeit ausstrahlt, und sehr viel Optimismus transportiert. Eine Geschichte, die die Frage stellt, wie die menschliche Natur aussieht und ob sie veränderbar ist. Gerade dieser Optimismus und die Gutgläubigkeit sind einer meiner Kritikpunkte, denn die Herausforderungen des letztendlichen Verlaufs der Geschichte werden nicht wirklich dargestellt. Der Notstand wird meiner Meinung nach nicht konsequent genug durchgezogen, die Not der Bewohner, auch wenn explizit genannt, wird nicht nachfühlbar dargestellt und wirkt somit nicht überzeugend. Vielleicht wollte der Autor nicht zu sehr von seiner eigentlich Botschaft ablenken, doch dadurch wirkt die Entwicklung nicht ganz plausibel, auch wenn das Gedankenspiel ein überaus interessantes ist.

"Der Wal und das Ende der Welt" sollte eine große Leserschaft finden, denn es ist nicht nur optisch ein schönes Buch, sondern auch die Geschichte versprüht einen ganz besonderen Zauber, auch wenn sie handlungstechnisch nicht viel Spannung zu bieten hat. Aber das Buch hebt sich klar ab von der Masse und bietet viele Denkanstöße, an die sich seine Leser und Leserinnen hoffentlich in moralisch herausfordernden Situationen erinnern und sich von ihm inspirieren lassen können. "Der Wal und das Ende der Welt" ist weit mehr als Unterhaltungsliteratur. Dieses Buch ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass Literatur sehr viel mehr vermag, als trübe Stunden unterhaltsam zu vertreiben.