Hoffnungsvolles Gleichnis, dass anregt weiter zu philosophieren

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sendorra Avatar

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John Ironmonger webt in „Der Wal und das Ende der Welt“ ein dichtes Netz, das mich nicht mehr losließ. Die Geschichte spielt in St. Piran - einem Dorf am Ende der Welt, am Anfang des Ozeans. Wer weiterfahren würde, dessen Reifen würden nass werden. In dieses beschauliche Dörfchen, in diesen Mikrokosmos von Menschen und Beziehungen dringen nun zwei riesige Fremdkörper ein. Ein Wal und ein junger Mann. Beide stranden in der kleinen Gemeinde an der Küste Cornwalls. Beide könnten Boten des Weltuntergangs sein. Der junge Mann floh vor seinen Erkenntnissen als Analyst einer großen Bank in London. Der Wal…nun ja. Der strandete einfach. Beide scheinen jedoch den Weltuntergang zu ahnen. Der dann auch wirklich näher zu rücken scheint.

Ironmongers engmaschige Sätze fingen mich ein. Ich musste erfahren, welche Geschichte zum Fest des Wales erzählt wird. Jedes Jahr. Nach dem Weltuntergang. Es ist eine Geschichte voller Hoffnung. Voller Vertrauen in die Natur des Menschen. Nicht ohne Bedenken. Zwar scheint alles verbunden, alles zusammenzuhängen. Doch gibt es genug Variablen, die weder Mensch noch Maschine berechnen könnten. Der Mensch taugt als Einzelner und als Gemeinschaft doch immer wieder für Überraschungen.

„Der Wal und das Ende der Welt“ spricht die großen Fragen an, stellt wegweisende Theorien bekannter Philosophen vor und lädt ein, weiter zu philosophieren. Wie individuell sind wir? Ist der Schwarm wirklich intelligenter als der Einzelne? Wie vernetzt sind wir als Gesellschaft? Wie durchschaubar? Ist der Mensch gut oder böse? Altruistisch oder selbstsüchtig? Wie würden wir persönlich handeln?

Mich fesselte die Geschichte des erfolgreichen, gutmütigen Analysten Joe, den das Schicksal in dieses verschlafene Hafennest spült. Ich verliebte mich in das Dorf und seine freundlichen, grantigen, kauzigen, ehrlichen, zurückhaltenden, extrovertierten Menschen. Ich lernte Joe (in Rückblenden) besser kennen und rätselte, wie er bloß in solch eine Situation geraten konnte. Ich genoss all die Verbindungen und erkannte Zusammenhänge. Zwar verliert die Erzählung in der zweiten Hälfte an Tempo und Dichte. Dafür gewinnt der Protagonist an Tiefe.

Ich empfehle „Der Wal und das Ende der Welt“ all jenen, die einen ruhigen Erzählstil zu schätzen wissen; die gerne weiterdenken, zweite Gedanken zulassen; die Gleichnisse mögen und – zumindest ein bisschen - an das Gute im Menschen glauben.