Vom Erkennen der Zusammenhänge

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anna_banana Avatar

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»Dieser Roman gibt einem den Glauben an die Menschheit zurück.« Elle

Ein Zitat, welches mich sofort davon überzeugte, das Buch lesen zu müssen. Und ich muss sagen, Herr John Ironmonger, sie haben mich mit ihrem Werk ebenfalls überzeugt.
Joe Haak war Analyst einer Bank in London. Er studierte Mathematik an der Universität und seine alltäglichen Aufgaben bestanden unter anderem aus Prognosen (und negativen Zukunftsvisionen). Als er eines Tages mithilfe eines selbstgeschriebenen Computer-Programmes eine besonders düstere Voraussage erkannte, brannten seine Nerven mit ihm durch. Kurzerhand saß er in seinem teuren Sportwagen und fuhr immer der Nase nach Richtung Südwesten, um bisher Dagewesenes hinter sich zu lassen.

Der Roman zäumt das Pferd von hinten auf. Viele Hintergrundinformationen und Beweggründe von Joe erfährt der Lesende erst im Laufe des Geschehens. Zu Beginn des Buches ist nur klar, dass ein nackter Mann an den Strand von St. Piran, einem 300-Seelen-Dorf im äußersten Zipfel von Cornwall, gespült wird. Dieser Mann ist Joe. Die Dorfbewohner kümmern sich um den merkwürdigen jungen Mann, der wirre Sachen erzählt, aber dennoch sympathisch zu sein scheint. Als Joe wenig Zeit später einen gestrandeten Wal am Strand entdeckt und daraufhin viele Menschen des Dorfes zu seiner Rettung animiert, wird er über Nacht zum Helden.

Aber das ist nur der Beginn dieser Geschichte, denn Joe erkennt Zusammenhänge, welche ihm nicht zuletzt durch seinen Beruf bis tief ins Unterbewusstsein eingebrannt sind. Diese Zusammenhänge sind es auch, die ihn ins Auto steigen ließen und wegen denen er bis an die Küste Cornwalls fuhr, um dort ins kalte Nass zu steigen. Um eine Grenze zu überschreiten. Um herauszufinden, ob da noch mehr in ihm ist, als diese triste Idee von einer düsteren Zukunft mit Katastrophen und Dingen, die aufgrund des menschlichen Egoismus zum Scheitern verurteilt sind.

Darum beschließt er, sein Vermögen für Grundnahrungsmittel auszugeben, sie in einem Lager aufzubewahren und die bevorstehende Epidemie zu überleben. St. Piran ist der richtige Ort dafür. Die Anzahl der Menschen im Dorf scheint ihm ideal. Außerdem kommt eine unerwartete Komponente dazu: Diese warmen Gefühle der Hoffnung und der Geborgenheit, welche die Menschen von St. Piran in ihm auslösen. Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Toleranz und Gemeinschaft, sowie ein entschleunigter Lebensstil fahren Joe tief durch Mark und Bein, setzten sich fest und legen in ihm Gedanken frei, die er lange Zeit unbeachtet gelassen hatte.

Über den weiteren Verlauf des Romans „Der Wal und das Ende der Welt“ ließe sich noch eine ganze Menge sagen. Viele der Dorfbewohner werden namentlich genannt, mit einem Beruf, einer bestimmten Rolle oder einer bestimmten Eigenschaft vorgestellt und treten mal mehr und mal weniger als Gesprächspartner mit Joe in den Fokus der Aufmerksamkeit. So entstehen verschiedene Rollenbilder der ansässigen Menschen, die sich in sympathische Klischees kleiden lassen und die auf liebenswürdige Weise einen Kontrast zu dem sanften Joe bilden, welcher von einem schnellen und leistungsorientierten Lebensstil desillusioniert ist.

In Rückblenden wird Joes verworrene Lage deutlicher. Ob Erinnerungen an seiner Mutter, die früh starb, an seine Schwester und seinen Vater, die in anderen Teilen Europas verstreut leben oder an das Leben als Mitarbeiter einer großen Bank in der Londoner Innenstadt – Joe hat mit vielen inneren Dämonen zu kämpfen. Dazu kommt ein gefürchteter Zusammenbruch der Gesellschaft, wie Joe sie kennt.
John Ironmongers Roman ist vielschichtig. Im Zentrum steht Joe Haak mit seinen Ängsten. Viele beschriebene Abläufe der Wirtschaft und des Zusammenlebens gilt es zu hinterfragen. Wie verhält sich eine Gesellschaft im Ausnahmezustand? Ist sich jeder nur der nächste und Egoismus an der Tagesordnung? Kann die Zukunft vorhergesehen werden? Oder gibt es Dinge, mit denen wirklich niemand rechnen kann? Was ist den alten Hochkulturen unserer Geschichte passiert, die es nun nicht mehr gibt. Ein auch im Buch erwähntes Beispiel ist die damalige Gesellschaft auf den im Pazifik befindlichen Osterinseln. Es kam zu einem völligen Verfall der tradierten, auf der Ahnenverehrung fußenden Kultur.

Der Roman gab mir neues Gedankenfutter und erzählte mir nebenbei eine herzerwärmende Geschichte über den Zusammenhalt von Menschen. Danke, John Ironmonger.