Es hätte so schön sein können!

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lesestress Avatar

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»Er schlug das Notizbuch auf einer leeren Seite auf. ✨Ich hörte die Drohnen, bevor ich sie sah✨, schrieb er, und dann lehnte er sich zurück, hielt das Notizbuch wie ein Gesangbuch in die Höhe und sprach die Worte leise aus.«

»Der Wald« und ich – es hätte so schön sein können: Idealistische Umweltaktivist:innen treffen auf charismatischen Milliardär ohne Moral. Wir befinden uns auf dem schönsten Fleckchen der Erde, inmitten der Flora und Fauna von Neuseeland. Die Landschaft ist so malerisch, wie die Charaktere der Protagonist:innen eigen. Es gibt coolste Spionage-Technik, abgedrehte Polit-Ressentiments und einen wirklich krassen Showdown – der neue Roman von Booker-Preisträgerin Eleanor Catton klang wirklich mehr als vielversprechend! Trotzdem wollte der Funke auf mich nicht überspringen. Warum eigentlich?

Mira Bunting ist die Gründerin einer Guerilla-Gardening-Gruppe namens »Birnam Wood«. Das Kollektiv pflanzt und erntet überall dort, wo es niemand bemerkt: an Straßenrändern, in vergessenen Parks und vernachlässigten Hinterhöfen. Rentabel ist das natürlich nicht, hier geht es vielmehr um den Ehrgeiz der Ideale. Doch die hehren Ziele kommen in profitablere Nähe, als Mira ein neues Grundstück erschließen will und dort vom Milliardär Robert Lemoine überrascht wird. Die von ihr besichtigte Farm liegt am Pass zu einem Naturschutzgebiet und ist durch einen Erdrutsch scheinbar von der Außenwelt abgeschnitten. Der mysteriöse Amerikaner wird kurzerhand zum Mäzan von »Birnam Wood« und schlägt Mira vor, dieses Land zu bewirtschaften. Ein Handel, der nicht ohne Folgen bleiben wird. Denn wer ist Robert Lemoine? Kann die Gruppe ihm vertrauen – und können sie sich selbst trauen?

Eleanor Catton lässt in »Der Wald« Welten aufeinanderprallen und greift Themen unserer Zeit auf. Ihr Spannungsroman lebt von einer bedrohlichen Grundstimmung, scheinbar lauert hinter jedem Busch in diesem Naturschutzgebiet das Böse. Doch dieses Versprechen, um die Lauer sowie das Unbehagen, kann Catton meiner Meinung nach nicht einlösen. Denn auf über 500 Seiten mäandert die Handlung vor sich hin – ohne Absätze oder Kapitel. Die Dialoge sind zwar knackig, und ich mochte auch die politischen Kämpfe der Protagonist:innen (wahrlich das Beste am Buch!), aber Spannungsbogen und Handlungsfaden liefen für mein Gefühl in entgegengesetzte Richtungen. Am Ende wollte ich nur noch wissen, wie es ausgeht. Das Finale Grande – und so fair muss ich sein – kam schnell und unerwartet in seiner Härte sowie Kompromisslosigkeit und hat mich, ob seiner Skurrilität und Absurdität, beinahe begeistern konnte. Beinahe, weil ich nicht die quälend dahinschleichenden 500 vorangegangen Seiten vergessen konnte. Alles in allem hätte das Buch für mich gern 200 Seiten kürzer sein können, dann hätte es vielleicht auch mit dem Spannungsbogen geklappt.

Aus dem Englischen von Melanie Walz und Meredith Barth.