Auf dem Königsweg – und mitten hinein in eine Freundschaft, die Risse bekommt

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tanjawa85 Avatar

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Anna Russ führt uns mit Der Weg auf eine Wanderung, die nicht nur durch die schwedische Wildnis führt, sondern vor allem durch die seelischen Landschaften zweier Freundinnen – und dabei atemlos macht. Die Leseprobe beginnt mit einem düsteren Prolog, der sofort Spannung aufbaut: Regen, Orientierungslosigkeit, Einsamkeit – ein Foreshadowing, das die Stimmung für den Rest der Geschichte setzt.

Im Kontrast dazu steht der eigentliche Einstieg: Zwei Freundinnen, Jules und Nicki, brechen auf zur gemeinsamen Trekkingtour auf dem Kungsleden, einem der abgelegensten Wanderwege Schwedens. Was zunächst wie ein ungewöhnlich sportlicher Junggesellinnenabschied wirkt, wird schnell zur intensiven Auseinandersetzung mit Freundschaft, Erwartungen, Schuldgefühlen und inneren Brüchen.

Die Erzählerin Jules ist verlobt, vollgepackt mit Terminen und scheint längst in einem „erwachsenen“ Leben angekommen zu sein. Nicki dagegen trägt sichtbar einen inneren Ballast mit sich, bleibt verschlossen und lässt Jules – und damit uns als Lesende – lange im Unklaren darüber, was sie wirklich belastet. Ihre Beziehung wirkt fragil, unter Spannung, aber auch voller unausgesprochener Nähe.

Die Sprache ist unmittelbar, bildhaft und sehr gegenwärtig: man riecht den nassen Waldboden, spürt das Brennen in den Beinen, hört das Knirschen der Schritte – und gleichzeitig das Schweigen zwischen den Figuren. Die Natur wird nicht nur Kulisse, sondern Spiegel der emotionalen Zustände.

Was mich besonders gefesselt hat, ist die doppelte Spannung: Einerseits das Versprechen eines Abenteuers fernab der Zivilisation, andererseits die leise, schmerzhaft ehrliche Auseinandersetzung mit zwei Leben, die sich vielleicht in unterschiedliche Richtungen entwickelt haben. Die feinen Beobachtungen über Freundschaft, Veränderung und das Ungesagte dazwischen machen den Text tiefgründig und nahbar.

Ein Roman über das Verlaufen – im Wald, im Leben, in der Beziehung zu anderen. Und vielleicht auch über das Wiederfinden.