Allein in der Wildnis – Wenn Freundschaft zur tödlichen Falle wird

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Mit „Der Weg“ hat die österreichische Autorin Rebecca Russ einen fesselnden Thriller vorgelegt, der die Lesenden mitten in die raue, einsame Natur Nordschwedens entführt – und zugleich tief in die Abgründe einer toxischen Freundschaft.

Rebecca Russ gelingt es, von der ersten Seite an eine dichte Atmosphäre zu erschaffen. Die Natur wird nicht nur zur Kulisse, sondern beinahe zu einem eigenständigen Charakter im Roman – bedrohlich, unberechenbar, still und zugleich feindlich. Die Autorin beschreibt die raue Landschaft mit eindrucksvoller Genauigkeit und sorgt so für eine intensive, beinahe klaustrophobische Leseerfahrung, obwohl das Setting eigentlich weit und offen ist.

Im Zentrum des Romans steht jedoch nicht nur das Überleben in der Wildnis, sondern auch die komplexe Dynamik zwischen Julia und Nicki. In geschickt eingebauten Rückblenden (in kursiv gesetzten Kapiteln) wird die gemeinsame Vergangenheit der beiden Frauen aufgerollt. Es wird schnell deutlich, dass hinter der Fassade einer Jugendfreundschaft tiefer liegende Spannungen, Missverständnisse und Verletzungen verborgen liegen. Die Psychologie der Figuren ist fein herausgearbeitet – Julia, anfangs zurückhaltend und kontrolliert, entwickelt sich im Lauf der Geschichte weiter, muss Entscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen und sich ihrer Vergangenheit stellen. Nicki hingegen bleibt zunächst rätselhaft – erst nach und nach enthüllt der Roman ihre Beweggründe und ihren wahren Charakter.

Spannung entsteht dabei nicht nur durch das drohende Scheitern in der Wildnis, sondern vor allem durch das zunehmend zerrissene Vertrauen der Protagonistin. Die Handlung ist mit kurzen, dynamischen Kapiteln erzählt, was für einen zügigen Lesefluss sorgt. Gleichzeitig streut die Autorin geschickt Hinweise und falsche Fährten, sodass man sich als Leser*in ständig fragt: Was ist wirklich passiert? Wem kann Julia – und damit auch wir – überhaupt trauen?

Rebecca Russ gelingt mit „Der Weg“ eine starke Mischung aus Naturthriller, Psychodrama und Survival-Roman. Auch wenn manche Wendungen am Ende ein wenig konstruiert wirken mögen, bleibt die Geschichte insgesamt glaubwürdig und emotional packend. Der Roman wirft nicht nur Fragen über Vertrauen, Schuld und die Macht vergangener Entscheidungen auf, sondern zeigt auch, wie wenig wir manchmal über die Menschen wissen, die uns angeblich am nächsten stehen.