Man ertrinkt, und alle schauen zu.

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ismaela Avatar

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So wurde mir mal das Gefühl einer Depression beschrieben. Man ertrinkt, man schreit um Hilfe, es schauen sehr viele Menschen zu - aber keiner hilft.
Dieses hilflose Gefühl bei dieser Krankheit ist mit das unerträglichste, und irgendwann reicht die Kraft nicht mehr und man macht Schluss.
Wenn man Glück hat, findet man eine Therapeutin, die einem Wege aus der Sackgasse zeigt, mit Gesprächen, mit Übungen, mit Medikamenten.


Johann Hari, Autor des vorliegenden Buches, fand mit der Hilfe von Antidepressiva einen Teil seines Lebensmutes wieder, seine Stimmung hellte sich auf, er nahm wieder am gesellschaftlichen Leben teil. Gleich von Anfang an hat mich Hari durch seine Erzählweise und seine Offenheit in den Bann gezogen. Er beschreibt nicht nur seine dunkelsten Stunden, er spricht auch ganz offen über die doch recht unangenehmen Nebenwirkungen der Antidepressiva (Gewichtszunahme, fehlende Libido etc.), und darüber, dass er trotz allem jahrelang ein großer Befürworter dieser Tabletten war. Bis ihm sein Therapeut zum Nachdenken brachte: wenn eine Depression eine vermeintliche "chemische Störung" im Gehirn ist, die durch andere chemischen Stoffe (also Medikamente) neutralisiert werden könnte, warum war Hari dann immer noch nicht glücklich? Warum brauchte er immer höhere und stärkere Dosen des Medikamentes?
Hier fängt der Autor an, die Hintergründe von Depressionen zu erforschen.

Ein paar kritische Vorabstimmen bemängelten im Zusammenhang mit diesem Buch, dass Hari als Nicht-Experte viel zu allgemein und unbedarft mit dem Thema umgeht, indem er Tabletten verteufelt und seichte Selbsthilfemethoden auflistet. Meiner Meinung nach macht er genau das Gegenteil. Bis zum Schluss ist er ein klarer Befürworter von medikamentöser Hilfe. Er schildert aber auch, dass es viel mehr Behandlung braucht, wenn man an einer Depression leidet. Zuerst ist der Grund der Depression von elementarer Wichtigkeit. Diesen herauszufinden kann Jahre dauern. Erst dann kann man eine Behandlung ins Auge fassen, die wirklich etwas bringen kann. Es hilft ja nicht, Tabletten zu nehmen, wenn sich an den äusseren Umständen nichts ändert. Hari beschreibt sehr viele Studien und Versuche aus aller Welt, die sich mit dem Thema befassen und befasst haben und legt sehr deutlich dar, dass die eigenen Lebensumstände einen großen Teil der Gemütsverfassung ausmachen. Vor allem die Studie mit den adipösen Frauen hat mich sehr berührt.

Auch der dritteTeil des Buches, der Strategien gegen Depressionen gibt, ist für mich persönlich sehr aufschlussreich. Der Autor schreibt keine esoterischen To-Do-Listen a la "pflückt Blümchen, umarmt Bäume!" Er beschreibt sehr genau, welche Lebensumstände vermehrt zu Depressionen führen (z. B. sinnlose Arbeit, Einsamkeit, Existenzangst etc.). Natürlich wird es nicht möglich sein, genau diesen optimalen Lebensweg zu finden, der einen immer nur glücklich macht. Aber fühlt man sich leer und ausgebrannt, hilft es ungemein, wenn man sich überlegt, an was es eventuell liegen könnte. Erst dann kann man nach einer Lösung suchen.

Der Untertitel "Die wahren Ursachen von Depressionen - und unerwartete Lösungen" finde ich für dieses Buch sehr passend. Hari spricht niemals davon, dass er das Universalrezept gegen Depressionen gefunden hat. Er weist auch bis zum Schluss darauf hin, dass in so einem Zustand eine professionelle Hilfe und Anweisung zwingend notwendig ist. Und dass auch Tabletten sehr sinnvoll sind, wenn sie helfen, das eigene Leben wieder lebenswert zu machen. Doch für einen tieferen und erfolgreichen Genesungsweg muss man sich auch das Umfeld anschauen und dieses mit in die Therapie mit einbeziehen.

Viele Menschen, denen es schlecht geht, bekommen keine Hilfe. Für diese finde ich solche Bücher sehr wichtig, weil hier Hintergründe aufgezeigt werden, die die schlimme Gefühlslage wenigstens zu erklären versuchen. Ich glaube, auch dass kann bereits eine Menge ausmachen.

Für mich absolut lesenswert!