Verständlich für jeden

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throughmistymarches Avatar

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Mit der Rezension tue ich mich ein bisschen schwer, denn Depressionen sind ein heikles und sehr individuelles Thema, das nicht leichtfertig betrachtet werden sollte. Der Titel ist natürlich ziemlich reißerisch und auch im Buch selbst ist Hari manchmal sehr ergriffen von seinem Thema, dessen sollte man sich bewusst werden (dennoch bemüht er sich stark, eine neutrale Position einzunehmen). Das ist verständlich, wenn man bedenkt, dass er jahrelang Antidepressiva schluckte, dennoch depressiv war, aber strikt dem Modell folgte, das man ihm als Teenager dargelegt hatte: Depression = Fehlfunktion im Gehirn, Schlussfolgerung = nimm eine Pille. Er wehrte sich anfangs stark dagegen, als Therapeuten versuchten ihm klarzumachten, dass dieses Narrativ nicht unbedingt stimmen muss. Nun möchte Hari niemandem, der dank medikamentöser Behandlung Besserung erfährt, diese abtrünnig machen. (Was man über die Pharmaindustrie erfährt ist dennoch grotesk.) Aber bei Recherchen erfuhr er, dass es vielen – SEHR VIELEN – Menschen genauso geht, wie ihm: sie sind trotz der Einnahme von Psychopharmaka weiterhin depressiv, teilweise sehr stark. Ich persönlich vermeide Medikamente so gut es geht, da ich schon seit der Kindheit massive Probleme mit Nebenwirkungen hatte. Meinen eigenen Leidensporno (frei nach Hari) mit Ängsten und depressiven Episoden erspare ich euch, aber so viel sei gesagt: ich kenne mich aus in dem Gebiet. Umso spannender fand ich nun alle diese Studien und Forschungsergebnisse, die Hari zusammentrug, dazu die zahlreichen Gespräche, die er mit Fachleuten führte. Die Ergebnisse der ersten Hälfte des Buches sind daher für mich sehr einleuchtend und ich bin froh, nun Forschungsergebnisse und spezifisches Vokabular an der Hand zu haben (immer gut für Diskussionen, v.a. wenn Leute nicht akzeptieren, dass ich nicht die vermeintlich „einfache“ Lösung der Psychopharmaka wähle und mich stattdessen durch langwierige therapeutische Gespräche und teilweise niederschmetternde Konfrontationen mit Ängsten quäle). Einzig die „unerwarteten Lösungen“ haben mich etwas enttäuscht. Ohne viel vorweg zu nehmen: es sind fast ausschließlich Lösungen, auf die man selbst keinen Einfluss hat; teilweise müsste sich die Kultur, in der wir leben, als Ganzes ändern. Das ist natürlich nicht falsch, aber ein wenig ernüchternd, wenn man sich tatsächlich reelle Lösungsansätze erhofft, die man auch selbst in Angriff nehmen kann. Alles in allem liest sich das Buch übrigens sehr flüssig und ist absolut auch für Menschen, die Depressionen und Ängste selbst nicht kennen (ihr Glücklichen!) zu empfehlen, schon allein, weil sie damit evtl. Angehörige besser verstehen können.